thilo sarrazin – deutschland schafft sich ab: wie wir unser land aufs spiel setzen

Letztens habe ich einen Bericht gesehen, in dem es darum ging, dass Thilo Sarrazin auf irgendeiner Karnevalsveranstaltung war und draußen jemand gegen ihn demonstrierte. Das Ganze fand ich so dämlich, dass ich mich endlich mal durchgerungen habe, Sarrazins Buch zu lesen.

Was mich in der Sarrazin-Debatte fortlaufend gestört hat, war, dass niemand mit deutlich sagen konnte, was das Buch eigentlich taugt, wo seine Schwächen und wo seine Stärken sind. Und irgendwie fand ich, dass da ein Subtext war, der mir noch nicht ganz klar geworden ist.

Nun, dieser Subtext ist schlicht folgender: Sarrazin ist ein Nationalist. Das sagt Sarrazin auch ziemlich deutlich:

Ich glaube, dass wir ohne einen gesunden Selbstbehauptungswillen als Nation unsere gesellschaftlichen Probleme aber nicht lösen werden.

Warum eigentlich nicht? Und warum hat noch niemand den Glauben Sarrazins thematisiert? Das ist etwas Wesentliches in diesem Buch. Nationalist muss man nun so verstehen: Nehmen wir mal Europa als Staatenbund, dann hat Europa für sich keinen Kern, keine Keimzelle, derartiges Festigendes findet sich für einen Nationalisten nur in den Nationalstaaten. Daher muss man diese stärken.

Ich habe mich zunächst etwas gewundert, dass Hans-Ulrich Wehler gemeint hat, dass man Sarrazin nicht pauschal verurteilen sollte, sondern bei dieser Faktenmenge, die Sarrazin herbeiholt, auf diese eingehen müsse. Sowas kommt ja einem Ritterschlag gleich. Aber Wehler denkt auch ähnlich. Ich habe ihn mal in Bielefeld reden hören, und da sagte er, die Türkei könne nicht in die Europäische Union aufgenommen werden, weil sie schlicht nicht zur Idee Europas gehört. Wehlers Ausschlussgedanke hat aber nichts mit folgendem zu tun:

Die Gegenposition zu derartigem Nationalismus ist Kant. Kant argumentiert für die Republik als gerechteste Staatsform, eine Staatsform, die man heute oft begriffwechselnd als Demokratie auffasst. Unter Demokratie versteht Kant allerdings Mehrheitsbestimmungen, die möglicherweise Minderheitsrechte diskriminieren. Diese Republiken sollen sich zu einem Völkerbund mit dem Ziel des ewigen Friedens zusammenschließen. Kern ist also nicht der National-, sondern der Rechtsstaat. Für Kant wäre Sarrazins Nationaldenken Mumpitz.

In Deutschland geht vielen ja schon der Hut hoch, wenn sie das Wort Nationalist auch nur hören, das wird der Sache meines Erachtens aber nicht gerecht und man macht einen Sachverhalt obskurer als er ist.

Sarrazins Geisteshaltung ist somit klar und seine Ausgangsposition ebenso:

Für mich ist es eine offene Frage, ob und inwieweit es überhaupt möglich ist, Reformen gegen strukturelle Veränderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und deren beständig sich ändernde Rahmenbedingungen durchzusetzen.

Wer diese Annahme Sarrazins ablehnt, für wen es also keine Frage darstellt, wird aus der Lektüre nichts gewinnen, so das denn möglich ist. Sarrazins Ausflüge in Soziologie und Philosophie (z.B. die Möglichkeitswerdung der Aufklärung) sind Bruchlandungen eines Fachfremden, die keine tiefere Beschäftigung erfordern. Seine Beispielsammlungen sind dagegen durchaus interessant. Denn Sarrazins Prognosen über künftige Entwicklungen in Deutschland könnten ja eintreffen. Und so gesehen, darf man sich durchaus mal auf Gedankenspiele einlassen, was wenn wäre.

Aber es sind eben Gedankenspiele, nicht löffelgefressene Weisheiten, wie Sarrazin selbst zu denken scheint. Man sollte Sarrazin also nicht verteufeln, dazu fehlt ihm auch das Format, und darf ihn ruhig lesen.

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