wie versucht wird, auf rechtspflichtmissachtungen fremder staaten mit grundrechtsbeschränkungen eigener bürger zu reagieren

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat gestern ein 5 Wochen altes Interview von Ursula von der Leyen mit der FAZ veröffentlicht. Darin stellt sie die Motive für ihr Vorpresschen dar. Ihre Darlegung kann man kurz wie folgt wieder geben:

Bis vergangenen November hatte die Bundesministerin keinen Begriff vom Handel kinderpornographischen Materials über das Internet. Ihre Schockierung brachte sie zu dem Grundsatz „gegen alle Widerstände“ gegen Kinderpornografie vorzugehen. Sie betrachtet das Sperren von Internetseiten als Verhinderung eines Massengeschäftes und als Maßnahme, die 80% derer abhielte, die bislang zufällig via Spam-Mails derartige Internetseiten anschauten. Im übrigen würden Menschen via E-Mails überhaupt erst dazu gebracht, sich kinderpornografisches Material anzuschauen und von diesen Menschen würde jeder 5. derart angefixt, dass er real nach Kindern Ausschau hielte. Pädophilie ist ansteckend.

Keine einzige dieser Behauptungen ist irgendwie belegt. Und insofern haben die gegenteiligen Behauptungen denselben Wahrheitswert: Kinderpornografie über direkt ansteuerbare Internetseiten ist kein Massengeschäft, niemand wird durch abgehalten, sich kinderpornografisches Material anzusehen, niemand wird über Spam-Mails angefixt, Pädophilie ist nicht ansteckend. Die Kausalzusammenhänge, die Frau von der Leyen äußert, sind nicht nachgewiesen.

Um auf die einzelnen Punkte einzugehen: Domains mit kinderpornografischem Material können nach der Sperre zwar nicht mit einer www.kinderpornografie.de-Domain aufgerufen werden, problemlos aber über Adressen der Art 22.222.22.222. Wird ein solcher Link via E-Mail versendet, ist die Sperre umgangen, ohne dass der Adressat etwas macht. Das Spielchen lässt sich auch noch verfeinern. So ein Vorgehen ist zu erwarten, womit die angesprochene, geschätzte Zahl von 80% verhinderter Kinderporno-Material-Anklicker keine Aussagekraft mehr hat. Es sind nicht 15-20% schwerstkrimineller Pädophile, denen die Sperre nichts anhaben wird, es sind geschätzte 100%. Finanzielle Einbußen angeblicher Seitenbetreiber sind nicht zu erwarten.

Dass es sich hierbei um ein Massengeschäft handle, kann nur dann aufrecht erhalten werden, wenn angenommen wird, direkt ansurfbare Internetseiten seien der Einstieg in die Abnahme kinderpornografischen Materials. Dies ist sicherlich ein Werbeweg, der beschritten wird. Man muss aber beachten: Ein Weg, der beschritten wird, weil Server mit derart rechtswidrigem Material in Ländern, in denen Kinderpornografie verboten ist, nicht abgeschaltet werden. Ob dies aber der Weg ist, der dazu führt, dass das angebliche Massengeschäft Kinderpornografie ein Massengeschäft ist und bleibt, ist zu bezweifeln. Zunächst einmal ist an dieser Stelle nur der Fall eingetreten, dass Staaten ihrer Rechtspflicht nicht nachkommen.

Beim Anfixen nun verzichtet Frau von der Leyen vollkommen darauf, Gründe für eine Kausalität an zu führen. An dieser Stelle argumentiert sie wohl schon „gegen alle Widerstände“. Spam-Mails führen 400.000 Mal täglich zum Besuch kinderpornografischer Internetseiten, jeder fünfte derartige Besucher wird angefixt. 80.000 angefixte, potentielle Kinderschänder Tag für Tag, „die sich umschauen nach Kindern auf unseren Straßen“.

Was soll denn das heißen? Sind das Leute, die planen Kinder zu entführen und zu missbrauchen? Oder schauen sie sich nur um, so wie jeder sich nach Kindern mal umschaut? Wie stellt man fest, wer zur einen und wer zur anderen Gruppe gehört? Wie kann man eine statistische Zahl vortragen, die darstellen soll, wie ein Mensch mit pädophilem Interesse auf Bedenken seines eigenen Gewissens und auf das Wissen um die staatsgesetzliche Rechtswidrigkeit eines solchen Vorhabens mit Verdrängung reagiert? Ist es überzeugend, dass Personen, denen keine Verbote des eigenen Gewissens und der staatlichen Rechtssprechung letzten Endes etwas ausmachen, mit einem Internetseitenstoppschild geholfen ist? Dieses Rumgefrage ist bodenlos, aber nur deswegen, weil den Behauptungen der Bundesfamilienministerin eine Kausalitätsunterstellung beigemischt wird, die in ihrer Allgemeinheit falsch ist.

Niemand ist dagegen, wenn Internethoster dazu verpflichtet werden, von ihnen gehostete Seiten zu löschen, wenn diese gegen geltendes Recht verstoßen. Es geht an dieser Stelle nicht darum, Kinderpornoseiten zu tolerieren. Das fordert niemand. Es wird gefordert, eben nicht „gegen allen Widerstand“ Politik zu betreiben, sondern immer unter Beachtung des Rechts. Und mit dem geltenden Recht in Deutschland und sehr vielen anderen Staaten kann man Kinderpornografie beikommen. Aber es ist ein anti-aufklärerisches Mittel, auf Rechtspflichtmissachtungen anderer Staaten mit Grundrechtsbeschränkungen der eigenen Bürger zu reagieren. Ein solches Vorgehen missachtet die Grundlagen des Rechts demokratischer Staaten.

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Ein Kommentar

  1. Genau darum geht es. Warum wird man direkt verdächtigt, nichts gegen Kinderpornografie zu haben? Natürlich hat man als „normaler“ Mensch mehr als etwas dagegen. Nur kann die Lösung nicht sein, sich dank Staatsmacht in falscher Sicherheit zu wiegen. Wir alle wissen, dass diese Sperrmethode nichts bringt. Das hat sich auf anderen Gebieten und auf diesem Gebiet in anderen Ländern Bewahrheitet. Der richtige Weg oder besser ein Teil des richtigen Weges, kann doch nur sein, die Urheber auszuheben. Das dies mit Servern im Ausland natürlich nicht so einfach ist, sollte klar sein. Aber gibt es Länder, in den Kinderpornografie nicht verboten ist?
    Unsere werte Ministerin hält sich seit neustem für die Spezialistin für alles und will nur noch Dinge gegen jeden Widerstand durchsetzen. Evtl. schadet solch ein Verhalten aber mehr, als es nutzt bzw. ist Widerstand vielleicht nicht immer Kritik an der Sache selbst sondern an der Maßnahme.

    Vielleicht handelt es sich ja nur um Wahlkampfgetöse. Und auf die paar Petitionsunterzeichner u.ä., die sich Gedanken machen, wird gerne verzichtet? Der Rest wird auf populistische Weise einfach mitgezogen…

    Grüße,
    Heiko

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