über rhetorik und unbelehrbarkeit der zensursula

Im Artikel der Zeit, die ein Interview mit Franziska Heine und Ursula von der Leyen gemacht hat, wird von der Leyens Argumentationsstrategie wieder vorgeführt.

Jetzt ist ja schon etwas Zeit vergangen, seitdem ich das letzte Mal über die eingeführte Zensur in Deutschland geschrieben habe und sicherlich kommt dem einem oder anderen irgendwann die Frage: Ist das Gesetz denn so schlimm? Hat die CDU denn so Unrecht?

Daher mal in Kurzfassung: Die CDU räumt ein, dass man durch dieses Gesetz nicht diejenigen stört, die nicht zufällig auf Kinderpornojagd gehen. Es störe nur diejenigen, die zufällig auf eine derartige Seite kommen. Wie kommt man nun zufällig auf eine derartige Seite? Über eine Werbe-E-mail oder über Links vorhandener Internetseiten. Mein Einwand: Verlinken diese angeblichen Kinderpornolinksversender Adressen der Form „22.22.22.22“ statt „kinderporno.de“ greift die Zensurmaßnahme nicht, denn das funktioniert technisch nicht.

Die CDU glaubt allerdings hier ein politisches Allheilmittel gefunden zu haben: Wenn wir schon keine Sachargumente liefern können, die unsere Position stützen(und da warte ich Woche für Woche ergebnislos drauf), dann argumentieren wir eben rabulistisch. Wir rennen auf Inseln, auf die uns keiner folgt und die uns in Eins-zu-Eins-Unterhaltungen niemand streitig machen kann, da das ein größeres Ausholen erforderte. Und das macht niemand.

So auch beim aktuellen Interview von von der Leyen: Sie beruft sich, wie gesagt: in der Diskussion schwer angreifbar, auf:

Das Gesetz mache deutlich, dass Kinderpornografie in Deutschland geächtet werde.

Gesetzgebung als Zeichensetzen. Für wen und mit welcher Grundlage?

Im Internet gelten keine anderen Freiheiten als anderswo.

Argumente angreifen, die niemand behauptet – SpitzenIdee. Aber doch nicht mehr als alberne Rhetorik.

Wer kinderpornografische Bilder im Internet klickt, gibt einen Anreiz für die Produktion immer neuer Bilder.

Das stimmt nicht. Nur wenn jemand derartiges bezahlt, wird dieser Anreiz ausgegeben.

Man schafft eine Produktionsblockade, wenn man den Zugang zu derartigen Bildern sperrt.

Vielleicht, aber: Der Zugang wird nicht gesperrt.

Die von anderen Ländern verwendeten Listen seien oft schon alt und völlig überholt. Dies sei kein wirkliches Argument gegen die Verwendung solcher Listen.

Hä?

Alle Staaten, die bereits Zugangssperren haben, sagen, dies sei ein wichtiger Präventionsbaustein.

Mir ist kein einziger Staat bekannt, der sich dazu bisher geäußert hat.

Es gibt keine rechtliche Möglichkeit, kinderpornografische Seiten im Ausland abschalten zu lassen.

Keine? Sagen Sie mir eine, die sie schon versucht haben.

Die Erfahrungen zeigen, dass nicht jeder eine Stopp-Seite einfach umgehen kann.

Wie oben gezeigt: Muss er gar nicht können!

Wer die Stoppseite zu umgehen versucht, macht sich bewusst strafbar.

Unsinn. wie oben gezeigt, kann man, falls es derartige Werbe-E-mails gibt, die Stoppseite umgehen ohne zu wissen, dass es eine Stoppseite gibt.

X ist kein Grund, dass kinderpornografische Seiten im Internet zugänglich sein sollen.

Hier haben wir das Grundprinzip der CDU-Logik: Es gibt eine Behauptung A (Ich kann schwimmen.) und wer dagegen ist, sagt Nicht-A (Ich kann nicht schwimmen.). Jetzt behauptet der gemeine CDU-Politiker zudem: Es gibt keine andere Argumentationsform als diese. Und diese unterschwellige Annahme ist einfach falsch. Denn: Nicht-nicht-A ist nicht immer gleichbedeutend mit A. Das wäre nach Obenstehendem der Fall. Beispiel: Ich habe nicht zugestimmt, ich habe nicht dagegen gestimmt, ich habe mich enthalten. Nur durch Ignoranz dieser Möglichkeit, kann ein CDU-Politiker behaupten, jemand der sich gegen Zensur ausspricht, fordere den freien Zugang zu kinderpornografischen Seiten. Als ob dies dieselbe Frage sei! Ein bisschen Respekt vor dem Denken anderer sollte die CDU sich dann doch irgendwann mal aneignen.

Von der Leyen wirft Heine vor, sie leugne, dass es einen Massenmarkt für Kinderpornografie gibt.

Der Nachweis eines Massenmarktes steht seitens der Erfinder dieses Begriffs nach wie vor aus.

Dass Bilder von vergewaltigten Kindern im Netz nicht frei zugänglich ist, das ist keine Zensur.

Natürlich ist das Zensur. Der Begriff der Zensur besagt ja nicht irgendetwas über den Inhalt des Zensierten, sondern nur, dass eine Obrigkeit unliebsame Dinge verbieten möchte. Mit gleichem Recht können sie Vergewaltigungen zensieren, was immer das heissen mag. Aber wem bringt das was?

Zitat von der Leyen: „Ich meine: 134.000 Zeichner, das ist schon etwas. Aber es gibt 40 Millionen Internetnutzer.“

Hier soll wohl in Anlehnung an Roland Koch gesagt werden, dass den 134.000 Unterzeichnern gegen die Einführung von Zensur eine schweigende Mehrheit Andersdenkender gegenübersteht[1. Auch die Junge Union versteht die Aussage in dieser Lesart.]. Die Ansicht, man wisse, was andere Leute sagen, die nichts sagen, kenne ich persönlich eigentlich nur von den abgehalfterten Kartenmischern von 9live. Bestätigt ist dabei bisher eigentlich nur die Zahl[2. https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=3293] derer, die die Petiton für das Zensurgesetz unterzeichnet haben: 348. Und 134.000 zu 348, das entspricht auch in etwa meiner Wahrnehmung über die Meinungen der Internetnutzer über die Ablehnung resp. Befürwortung der Zensur.

Namhafte(!) Rechtswissenschaftler sagen: Die verfassungsrechtliche Informationsfreiheit deckt nicht, dass strafrechlich relevante Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Über das Zur-Verfügung-Stellen redet niemand, das steht eh außer Frage. Hier auch, wie im nächsten Punkt: Das Heranziehen von externen Meinungsautoritäten: Namhafte Rechtsprofessoren. Die sind ja auch irrtumsresistent, so namhafte Rechtsprofessoren.

Peter Schaar habe sehr deutlich gesagt, seiner Meinung nach würde die Kommunikationsfreiheit durch diese Art von Sperren nicht gestört.Was Schaar sagt, ist folgendes: Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass manches nicht bis zum Ende gedacht wurde. Es werden ja inzwischen – am Mittwoch beispielsweise im Innenausschuss – auch verfassungsrechtliche Zweifel angesprochen. Haftungsausschlussfragen sind ebenfalls aufgeworfen. Was das im Einzelnen bedeutet, hat man nicht ausgelotet.

Fragen Sie die Wissenschaftler(!) in der Berliner Charité, die werden Ihnen sagen, die Gefahr, dass das bloße Betrachten von Kinderpornobildern irgendwann im realen Missbrauch mündet, ist gegeben.

Mit dieser Auffassung von Kausalität können sie auch sagen, dass das bloße Betrachten eines Autos Leute dazu treibt, Autos zu klauen.

Fragt man nun tatsächlich einmal jemanden von der Berliner Charité, erhält man eine Antwort, die sich als Gegenteil dessen entpuppt, was von der Leyen über die Berliner Charité behauptet:

Wenn jemand als pädophil bezeichnet werden kann, sagt das nichts darüber aus, ob diese Person sexuellen Kindesmißbrauch begeht oder nicht. Das eine ist vom andern entkoppelt. (…) So gut wie alle Männer werden sexuell erregbar sein, wenn Kinder irgendwas an ihnen vornehmen. [Danke an den Hinweis von Flusskiesel.]

Der krönende Abschluss aber ist von der Leyens Ausverkauf der Politik:
Politik, so von der Leyen, besteht aus Meinungsäußerung, aber danach muss man sich Mehrheiten suchen und auch Alternativlösungen anbieten. Man lasse sich diesen Satz auf der Zunge zergehen: Es geht nur um Meinungen, nicht um Wahrheit. Und Meinungen darf ich mit allen rhetorischen Mitteln durchs Dorf scheuchen, um Meinungsbefürworter zu finden. So geht das Spiel.

Anders ausgedrückt: Es ist unmöglich, Frau von der Leyen politisch von Wahrheiten zu überzeugen, da es in ihrer Welt nur Meinungen gibt. Eine solche Sichtweise nimmt man überhaupt nur an, wenn man meint, dass man mit Wahrheiten nicht überzeugen kann.

Das ist der wesentliche Grund, weswegen ich mich dagegen wehre, selbst unter Internet-Community oder linker Polemik subsumiert zu werden: Die wichtige Frage in dieser Debatte ist doch: Gestatten wir es Politikern wie von der Leyen zu Gunsten von Meinungsmache auf Wahrheiten zu verzichten?

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9 Kommentare

  1. ha, ha ich habe mich auch über den letzen Pukt köstlich amüsiert. Ganau darum geht es – Meinungen zu Bilden, Irgenwas zu erzehlen und auch zu „beweisen“, mit anderen Worten – es geht um Populismus…
    schönes Artikel!

  2. Gruselig. Das alles ist einfach nur gruselig. Ich will gar nicht wissen, wohin dieses Land in 20 Jahren vor die Hunde gegangen ist.
    Treffende Analyse der Rhetorik bzw. Dialektik von UvdL.

  3. Noch eine Anmerkung

    Zensursula „…., wonach im Schnitt jeden Tag rund 200 neue Kinderporno-Bilder ins Netz gestellt werden. Aus den skandinavischen Ländern wissen wir, dass in Norwegen am Tag rund 15.000 Klicks auf diese Seiten geblockt werden; in Schweden sind es rund 50.000 Klicks. Ich glaube, es ist eine müßige Diskussion, hier zu behaupten, es gäbe keinen Bedarf, Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen.“

    In der kleinen Anfrage der FDP kann man dazu lesen, dass sich die 50000 Klicks auf Dänemark beziehen. (Frage 38).

    Interessanter wird das nun im Zusammenhang mit der Antwort auf Frage 12:

    „Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Strafbarkeit von Kinderpornographie in Dänemark erheblich weiter gefasst ist, als in Deutschland. Das diesbezügliche Schutzalter beträgt in Dänemark 18 Jahre (Deutschland 14 Jahre) und inhaltlich reicht die bloße Abbildung der Genitalien aus (Deutschland: sexuelle Handlungen erforderlich).“

    Genau untersucht wurde die Liste natürlich nicht. Der für Deutschland relevante Anteil der „Klicks“ kann also nur vermutet werden, dürfte aber sehr klein ausfallen. Übermittelt wurden dem BKA aber die in Deutschland gehosteten Domains (119) der dänischen Sperrliste. Nicht ein einziger der dort abrufbaren Inhalte war nach deutschen Strafvorschriften zu beanstanden.

    Ob man die Nennung solcher ZAhlen dann als Propaganda oder einfach als dreiste Lüge bezeichnen will bleibt jedem selbst überlassen.

    gt

  4. „Die von anderen Ländern verwendeten Listen seien oft schon alt und völlig überholt. Dies sei kein wirkliches Argument gegen die Verwendung solcher Listen.“

    In ersterem Fall bezieht sie sich auf díe geleakten, also kein „Hä?“.
    (Die indirekt ermittelten sind natürlich kein Stück besser.)

    Ansonsten netter Artikel (auch die „Idee“, direkt mit IPs zu verlinken).

  5. An dieser Stelle ist unklar, weswegen von der Leyen urteilt, in Heines Äußerung handle es sich nicht um ein „wirkliches Argument“: Auch wenn die Listen „alt und überholt“ waren, so waren sie dennoch offenbar authentische Listen, die so im Einsatz waren. Dass Listen so im Einsatz waren, halte ich für ein „wirkliches Argument“. Wie stark das ist, müsste man ausloten.

  6. Um diese Listen als „hartes“ Argument heranziehen zu können, müßte man erstens den Zeitpunkt kennen, zu dem diese „gültig“, also im Einsatz waren, und zweitens die genauen Inhalte der gesperrten Seiten, ebenfalls zu diesem Zeitpunkt. (Wobei der Begriff „Seiten“ im Zusammenhang mit DNS-Sperren natürlich ohnehin Quatsch ist.)

    Dieses Problem wird sich auch in Zukunft stellen. Allein das Alibi-Gremium wird wohl Zugriff auf die „Dokumentation“ des BKA haben, die einzelne Sperrungen rechtfertigt. Auf die Problematik, daß legale Seiten – ob nun absichtlich oder „aus Versehen“ bzw. fahrlässig – aufgrund der technischen Unzulänglichkeit (mit)gesperrt werden, wurde im Interview (wie auch überwiegend in der Debatte) leider nicht eingegangen.

    Ein BKA-Beamter mag ja in der Lage sein, zu beurteilen, ob ein Bild/eine Seite kinderpornographischen Inhalt hat.
    Daß er die Abwägung treffen kann, ob die Mitsperrung ggf. hunderter anderer Seiten verhältnismäßig ist (wenn ihm diese Folge im Einzelfall überhaupt bekannt ist), wage ich zu bezweifeln; dies ist eindeutig eine richterliche Aufgabe.

    Insofern ist es auch gerechtfertigt, von Zensur zu sprechen, und zwar unabhängig davon, ob die dokumentierten Sperrgründe möglicherweise manipuliert wurden.

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