grabsuche

Ich war 6 Jahre alt, als meine Großmutter starb. Mein Großvater starb 14 Jahre vor meiner Geburt. Ich weiß wenig von beiden. Meine Mutter meint, mein Großvater habe vor seinem Tod einen Schlaganfall erlitten, was damals aber niemand erkannt habe. An meine Oma habe ich noch Oma-Erinnerungen: Da gab es Oma-Kaffeekränzchen mit anderen Omas in ihrem eigenen dunklen Wohnzimmer mit den Kissen, die nach Alte-Oma rochen. Da gab es schmerzende Kleinkindpediküre, da gab es einen Badewannenunfall, zu dem ein Handwerker kommen musste, der die Tür aufbrach, da war die Oma im Sessel, die sich selbst beschäftigte. Sie war mir keine herzliche Person, jemand, den man nicht unbedingt vermisste.
Oma war wiederkehrend im Krankenhaus, kam wieder, saß im Sessel, bekam Zucker, kam wieder ins Krankenhaus, kam nicht wieder.
Als sie gestorben ist, besuchten wir zweimal einen Leichenaufbewahrungsraum. Dort gab es einzelne Kabinen, in denen Tote lagen. Es herrschte gedrückte Stimmung bei den Erwachsenen. Meine ältere Tante weinte. Meine Mutter nicht. Meine ältere Tante wickelte einen Rosenkranz um die Hände meiner Oma und legte dann die Hände zurück. Was sich 6jährige nicht alles merken. Während die Erwachsenen gedachten, schauten wir Kinder in die anderen Kabinen.
Meine Oma wurde Anfang Oktober beerdigt. Ich merkte mir die Route von der Kapelle zum Grab, schaute mir die Messdiener in den weiten Gewändern an und sah meine Mutter weinen. Wir sind abschließend in die Kirche gegangen, nach der ich gefragt wurde, ob ich nach Hause wolle. Klar, ab nach Hause, gute Idee. Ich bekam öfter in meiner Kindheit ungewollt Extrawürste, das war eine solche. Ich wartete mit meinem Onkel zu Hause bis die anderen kamen. Und das dauerte, weil sie zum Beerdigungskaffee gegangen waren. Anschließend erzählten mir die anderen Kinder wie schön es dort gewesen war, und dass man sehr gut auf dem Parkett habe rutschen können.

Ich bin später noch oft auf dem Friedhof gewesen – als Messdiener bei anderen Beerdigungen. Am Grab meiner Großeltern war ich nur mit meinen Eltern.

Daran habe ich mich heute erinnert, als ich das Grab zum ersten Mal selbst aufsuchte. Ich erinnerte mich an das, was mir von Besuchen zur Grabpflege als Fixpunkte gemerkt hatte: Zwei große Bäume am Grab, in der Nähe ist eine Wasserstelle, die Straße ist weit weg, das Grab in zweiter Reihe.

Nichts von dem half mir heute weiter. Das Grab liegt an einer Stelle, die ich so heute nicht beschreiben könnte: Kein hoher Baum liegt in der Nähe, eine Wasserstelle liegt da, wo ich sie nicht vermutet hätte, das Grab liegt in Hör- und Sichtweite der Straße. In der Nähe des Grabes liegt der Schulleiter meines Gymnasiums, der zu meinem Gymnasiumsanfang noch im Amt war. Auch schon wieder 17 Jahre tot. Merkwürdige Umgebung. Nicht die sympathische Lage, die ich im Kopf hatte.

Ich habe so lange gesucht, dass mir der Gedanke kam, das Grab existiere womöglich gar nicht mehr oder meine Mutter könnte die Grabplatte, die sie so gar nicht leiden kann, entfernt haben, so dass ich das Grab nicht finden könnte. Aber dann entdeckte ich die altbekannte Platte, wo mich sonst nichts an irgendwas erinnerte. Nur die vom Nachbarn in Handarbeit gefertigte Platte mit dem falschen Namen: „Klemens Pott“ statt „Clemens Pott“.

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