laufend amok

Jetzt ist also der nächste Amoklauf eines jungen Menschen passiert und man muss nicht unken, es wird kommende geben. Schule war immer eine Metapher für die Gesellschaft, war immer Ort von Demütigungen. Als ich die ersten Informationen von der Tat in Winnenden bekommen habe, war ich nicht geschockt, war nicht brennend interessiert, jede Information über die Medien zu ergattern. War das zynisch? Ich hatte einfach keine Lust, mich dafür interessieren zu müssen, was das nun schon wieder für ein Jugendlicher ist, der sich gedemütigt fühlt und der meint, eine derartige Tat sei ein ihm zustehendes Mittel, um sich für die Demütigungen, die er empfunden hat, zu entschädigen.

Ganz in der Nähe meines Heimatortes liegt Emsdetten, der Stadt, in der der letzte medial stark aufgenommene Amoklauf an einer deutschen Schule stattfand. Damals verstreute der Amokläufer viele Informationen im Internet. Profile in irgendwelchen Foren, Videos mit irritierenden Darstellungen, ein Abschiedsvideo, Tagebuchaufzeichnungen, die 30 Tage vor der Tat anfangen und langsam, Tag für Tag runter zählen: 30, 29, 28… Ich war schockiert über das abzählen der Tage, das Nummerieren, das Bewusstsein: Noch 30 Tage bis zum Ende, noch 29,… noch 2 Tage, … Ende. Ich sah den jugen Mann auf Straßen, die mir wohl bekannt waren, die ich ebenso entlanggefahren bin, sah ihn mit Feuerwaffen posieren im Tecklenburger Wald, meinem Tecklenburger Wald. Ich habe alles gelesen, was er im Internet hinterlassen hat und ich habe verstanden, wie bedrängt er sich gefühlt hat. Das kann man verstehen und das ist kein krummer Gedanke.

Wenn jetzt wieder ein Wort Johannes Raus hervorgeholt wird, dass „Wir diese Tat einfach nicht verstehen“, so bin ich widerwillig. Ich toleriere die Entscheidung nicht, dass man wegen des Gedankens, man selbst sei bedrängt, zum Loser abgestempelt, um Chancen beraubt, die eigene Subjektivität werde von der Gesellschaft negiert, eine Gewaltat gegen irgendwen, gegen Undschuldige unternimmt. Hier bergründet man einen Krieg, der vorher nur eingebildet war. Die Schulamokläufer hätten darauf kommen können, dass ihre Tat ihnen selbst verboten ist, das war aber leider nicht der Fall. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, er muss zur Gesellschaft erzogen werden. Der Emsdettener Amokläufer schreibt in seinem Tagebuch über einen Lehrer, der ihm freundlich gesinnt war, der versuchte auf ihn einzugehen, dessen Eingehungsversuch der Schüler aber ablehnt. Der Rachegedanke saß wohl schon tief, aber es ist sein eigener Fehler, eine ausgestreckte Hand abzuwehren. Ein moralischer Gedanke, der diesem jugen Mann durchaus bewusst werden musste, den dieser aber selbst weggestoßen hat.

Ich habe vor einiger Zeit mit einem Hauptschullehrer geredet, der mir sagte, das Irritierenste für ihn sei, dass er Klassen habe mit 13jährigen, die glauben, keine Chance mehr im Leben zu haben. Und er ertappe sich bei dem Gedanken, dass diese Schüler vielleicht nicht ganz unrecht haben. Diese Gesellschaft ist soweit, dass 13jährige berechtigterweise Existenzangst haben. Und da stellen sich Leute hin und sagen, sie verstehen nicht, wie es zu derartigen gegen die Gesellschaft unternommenen Ausbrüchen kommt? Damit bestätigt man den Verdacht der Bedrängten, sich ignoriert, sich in ihrer Subjektivität ungeachtet zu fühlen.

Wenn jemand anständig auf diese Amokläufe reagieren möchte, dann bitte nicht, indem er Johannes Rau zitiert. Sorgen Sie sich um die Frage: Was macht diese Gesellschaft für ihre Nachfolger? Was bietet sie ihnen an? Was mutet sie ihnen zu? Was ist in der städtischen Politikausrichtung für sie vorgesehen, was nicht? Wäre ich wohl ein zufriedener Mensch, wenn ich unter den Bedingungen eines sozialschwachen Mitglieds dieser Gesellschaft aufwachsen müsste? Wieviel gibt meine Stadt für Jugendarbeit aus und wieviel für die Wirtschaftsförderung? Ich will keine bestmmte Antwort hier hören, ich will nur, dass Leute sich solche Fragen stellen. Man kann die gefühlten Verlierer nicht mit Ignoranz ihrer Probleme vergüten dafür, dass sie nicht zur Waffe greifen.

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Ein Kommentar

  1. Schön geschrieben und auf den Punkt gebracht. Solche Kommentare, jenseits des Egoshooterverbots- oder Verschärfung des Waffenrechts Geschreis, vermissen ich in den Massenmedien doch sehr.

    Versuch doch mal deinen Blogeintrag als Leserbrief einzureichen. Die „Neue OZ“ ist da immer recht dankbar drüber.

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