der sex-skandal der uni bielefeld

[ Aktualisierungen:  1.7.2.7.3.7.4.7.7.7.9.7. | 14.11.]

Dies könnte die Feierlaune der Bielefelder Universitätsleitung etwas trüben: Im 40. Jahr ihres Bestehens bekommt die Universität einen handfesten Sex-Skandal.

Nun sollte man sich streng vor Augen halten, dass die Unschuldsvermutung bei den beteiligten Personen Vorrang haben muss. Niemandem ist geholfen, an Hand der Persönlichkeiten des vermeintlichen Opfers und des vermeintlichen Täters rumzupsychologisieren. Vor Gericht wird diese Angelegenheit des weiteren verhandelt.

Verstörend ist ein anderer Umstand:

Offenbar hat die Universitätsleitung 9 Monate lang[1. In diesem Blog werden Dinge gestrichen, die sich der Sache nach als überholt oder falsch herausstellen. Durch die Streichung wird aber das vormalige Vorhandensein der Textstelle dokumentiert. Zu dieser Stelle, an der von 9 Monaten die Rede ist, hat die Universitätsleitung im Artikel der Neuen Westfälischen am 3. Juli Stellung bezogen. ] erfolglos versucht, diese Angelegenheit intern zu regeln. Die Staatsanwaltschaft kontaktierte man erst, als eine beteiligte Person eine Klage erhob. Ein sich der Universitätsleitung wohl rein juristisch aufdrängender Schritt. In der Zeitung liest sich das Vorgehen dann so:

Zunächst habe man aber von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen.

[Fragen: Wer ist man ? Was genau heisst an dieser Stelle absehen ? ]

Aufgrund des nun einsetzenden Rechtsverfahrens möchte die Universitätsleitung fortan zu dieser Sache keine Stellung nehmen. Dabei verkennt sie den Schaden, den sie anrichtet:

Welche Studentin, welche sonstige Mitarbeiterin an der Universität möchte sich derzeit vertrauensvoll bei einem Angriff auf ihre Person an die Universitätsleitung wenden, wenn sie davon ausgehen kann, dass diese sich mitunter ein Jahr schleppend damit beschäftigt.

Vielleicht gibt es tatsächlich gute Gründe, diese Angelegenheit 9 lange Monate intern zu verhandeln. Zum jetzigen Zeitpunkt aber mit Hinweis auf das laufende Verfahren keine Stellungnahme abzugeben, um selbst möglichst schadenfrei davon zu kommen, ist wohl ein falsches Zeichen.

Aktualisierung am 1. Juli
Im Laufe des Tages hat sich die Universitätsleitung entgegen der Mitteilung bei der Neuen Westfälischen (der Text wurde mittlerweile geändert) doch noch zu Wort gemeldet. Mit Bezug auf einen Bericht des Westfalen-Blatts wird ein terminlicher Ablauf des Prozederes aus der Sicht der Universitätsleitung gegeben.

Auf den sowohl im Westfalen-Blatt als auch in der Neuen Westfälischen beschriebenen Umstand, die Universitätsleitung sei seit Herbst vergangenen Jahres über die Vorwürfe unterrichtet gewesen, geht die Universitätsleitung nicht ein.

Die Universitätsleitung gibt dagegen an, schnellstmöglich gehandelt zu haben.

Aktualisierung am 2. Juli

Auch in den zwei großen Zeitungen Bielefelds wird heute das Bezeichnen des Handelns der Universitätsleitung als schnellstmöglich in Frage gestellt.

Die Neue Westfälische beschreibt den Fall heute ausführlicher und resümiert:

Obwohl der Fall im Haus also mindestens seit zehn Wochen bekannt war, konnte sich das Rektorat erst gestern dazu durchringen, den beschuldigten Professor bis zur Klärung des Falles vom Lehrbetrieb auszuschließen.

Im Westfalen-Blatt wird ein Mitglied der betroffenen Fakultät in Bezug auf das Vorgehen der Universitätsleitung mit deutlichen Worten zitiert:

Ein Vertreter der Fakultät kritisierte [das Vorgehen der Universitätsleitung] gestern als Verletzung der Fürsorgepflicht. Eine Universität müsse für alle jungen Menschen ein Schutzraum sein«.

Die Fürsorgepflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in §§241. Abs. 2, 617-619 festgelegt. Die Missachtung der Fürsorgepflicht kann zu Schadensersatzansprüchen und anderen Rechtsansprüchen des Arbeitgebers führen. Vom nichtmateriellen Schaden einmal abgesehen.

Uwe Koch kommentiert im Westfalenblatt: Unter den Teppich gekehrt.

Aktualisierung vom 3. Juli
Die Neue Westfälische berichtet heute über den kompletten Rücktritt der Gleichstellungskommission der Uni Bielefeld betroffenen Fakultät. Im Zuge dessen zitiert man einen Uni-Sprecher, dass das Inkenntnissetzen der Universitätsleitung im vergangenen Oktober denselben Professor, aber einen „ganz anderen Fall“ betreffe. Damit möchte man wohl Wind aus den Segeln nehmen.

Aber nochmal in Ruhe: Zweimal innerhalb eines einzigen Semesters gibt es offenbar unabhängig voneinander den Vorwurf einer sexuell motivierten Missetat gegen einen Professor und die Universitätsleitung wendet sich erst an die Staatsanwaltschaft, unmittelbar nachdem eine Klage im zweiten Fall eingereicht wird, und suspendiert den Professor erst, unmittelbar nachdem die Zeitungen darüber berichten.

Es erscheint mir naheliegend, dass einige Personen nun die Einhaltung der Fürsorgepflicht seitens der Universität in Frage stellen. Gerade angesichts des Umstandes, dass das wohl wichtigste hierfür eingerichtete Gremium geschlossen zurücktritt.

Die Universitätsleitung sollte schnellstens darlegen, was das Disziplinarverfahren eigentlich bringen sollte. Wenn man den betroffenen Professor für so verdächtig hält, dass ein Verfahren eingeleitet werden soll, dann doch im ersten Sinne kein Disziplinarverfahren. Sexuelle Nötigung ist ein Straftatbestand. Und die Verfolgung von Straftaten ist Sache der Staatsanwaltschaft, nicht Sache eines internen Klärungsversuchs. Fristen in einem Disziplinarverfahren können da meines Erachtens nicht ausschlaggebend sein.
Andererseits: Wenn man die Angaben des vermeintlichen Opfers für unglaubwürdig hält, ergibt ein Disziplinarverfahren gegen den betroffenen Professor gar keinen Sinn.

Eine Erklärung tut not, nicht dass irgendein findiger Jurist an dieser Stelle noch eine Straftat wähnt.

Ein verständliches Vorgehen wäre doch folgendes:

1. Verständigung der Staatsanwaltschaft zur Prüfung, ob es sich bei dem Vorwurf einer Strafsache rechtlich gesehen tatsächlich um eine Strafsache handelt. Während dieser Untersuchung hat die Presse nicht informiert zu werden. Somit wäre nicht davon auszugehen, das zu diesem Zeitpunkt irgendwem eine übermäßige Rufschä¤digung entsteht.

2. Je nach Ergebnis der Untersuchung unter 1. Einleitung des Strafverfahrens und des Disziplinarverfahrens oder Abweis des Vorwurfs.

Ich zitiere nochmal wie die Neue Westfälische die Universitätsleitung zitiert: Zunächst habe man aber von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen. Hat sich hier nicht jemand vollkommen in seinen Kompetenzen verhoben? Seit wann ist eine Universitätsleitung eine Rechtsinstanz, die von strafrechtlicher Verfolgung absehen kann?

Ist das der Normalfall? Eine Studentin kommt zur Universitätsleitung mit dem Vorwurf einer Strafsache und die Universitätsleitung schlägt ihr vor, das erstmal intern zu regeln? So als ob es Abhängigkeitsverhältnisse in der Universität, in denen Studenten schlechter gestellt sind, überhaupt nicht bestünden und sie im universitären Kontext völlig frei wären?

Dass der betroffene Professor Klage gegen Verleumdung erhebt, ist im Zuge des Verfahrens, das die Universitätsleitung eingeleitet hat, verständlich. Worauf soll auch ein so eingeleitetes Disziplinarverfahren fußen? Stellt sich heraus, dass keine Strafsache vorliegt, hat man den Professor nur aufgrund einer nicht haltbaren Behauptung suspendiert.

Aktualisierung vom 4. Juli
Die Uni-Gleichstellungsbeauftragte Uschi Baaken und Universitäts-Rektor Dieter Timmermann haben der Neuen Westfälischen ein Interview gegeben, das heute erschien. Timmermann wiederholte die Aussagen seines Pressereferenten und wies darauf hin, dass die Angelegenheit nicht früher der Staatsanwaltschaft gemeldet wurde, weil die betroffene Doktorandin noch nicht bereit dazu gewesen sei. Dem Vorwurf der späten Suspendierung versucht („Fakt ist…“) Timmermann den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er sagt, dass er wenige Tage zuvor den Auftrag erteilt habe, die Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft zu übergeben. Aber eben erst nachdem der betroffene Professor Klage erhob.

Die Redeweise von Timmermann ist bisweilen putzig:

Wir haben die junge Frau gleich im ersten Gespräch darauf hingewiesen, ob es nicht ein Fall für die Staatsanwaltschaft sei – weil es um Gewalt ging.

Diese Angelegenheit ist nicht ein Fall für die Staatsanwaltschaft, weil diese für Gewalt zuständig ist, sondern weil sie als Entscheidungsinstanz für die Strafverfolgung zuständig ist. Jetzt stelle man sich mal vor, in diesem Zitat stünde korrekterweise weil es um Strafverfolgung geht. Die Frage an die Doktorandin, ob es ein Fall für die Staatsanwaltschaft sei, ist zudem Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die eine Verletzung der Fürsorgepflicht sehen. Denn bei es handelt es sich doch offenkundig um die Vorwürfe der Doktorandin vergewaltigt und sexuell genütigt worden zu sein. Beides eindeutige Straftatbestünde.

Frau Baaken gibt an, man habe

das jetzt nach außen gegeben, als deutlich wurde, dass der Fall intern nicht zu klären ist.

Klar wurde ist offenbar bedeutungsgleich mit dem, was im Text der Neuen Westfälischen die Reaktion darauf, dass der betroffene Professor Klage wegen Verleumdung erhoben hat, war. Abgesehen davon: Man hat 10 Wochen lang versucht, den Vorwurf von Straftatbeständen intern zu klären?

Interessant ist auch, dass der Vorwurf der Doktorandin, vergewaltigt und sexuell genötigt worden zu sein, bei Timmermann lediglich es heisst und bei Baaken lediglich das.

Ein seltsames Interview. Da wird der Universitätsleitung vorgeworfen, sich mehr um das Renomée der Uni zu kümmern als um ernste Angelegenheiten seiner Beschäftigten, und dann gibt man ein Interview, das zur Hälfte das Renomée der Universität in Form von Fürsorge-Projekten zum Gegenstand hat. Stellen Sie sich mal vor, der Kölner Oberbürgermeister wäre zum Einsturz des Stadtarchivs interviewt worden und hätte geantwortet: „Ja, stimmt schon, das Ding ist eingestürzt. Aber wir haben da vor 2 Wochen ein Turnhalle gebaut: Die steht noch!“ An die Universitätsleitung wird doch nicht der Vorwurf herangetragen, etwas zu vertuschen, wie Timmermann meint. Die Art der Behandlung der Angelegenheit steht in der Kritik.

So wiederholt dann auch die Gleichstellungsbeauftragte der betroffenen Fakultät als einzig Verbliebene des Gremiums gegenüber der Neuen Westfälischen ihre Kritik an der Universitätsleitung, sich im Missbrauchsfall zu spät um Aufklärung bemüht zu haben.

Aktualisierung vom 7. Juli
Auf der Seite OWL-Vielfalt wird ein Bericht des Westfalen-Blatts veröffentlicht. Auch ein früherer Dekan der betroffenen Fakultät kritisiert hierin das Verfahren der Universitätsleitung:

Die Universitätsleitung hatte den Professor schließlich vergangenen Mittwoch suspendiert. Zu spät, wie ein früherer Dekan am Freitag kritisierte: »Das ist ein Fall nur für Polizei und Justiz. Das Rektorat hat keine eigene Gerichtsbarkeit.«

Der Sinn des Gesagten ist wohl klar, dennoch sei festgehalten: Als Instanz bezüglich Disziplinarstrafen hat die Universitätsleitung sehr wohl eine eigene Gerichtsbarkeit.

In diesem Artikel wird auf derselben Seite kritisiert, dass Berichte, die über diese Angelegenheit als Sex-Skandal klassifizierten, die Angelegenheit verharmlosten. Dem stimme ich nicht zu, da die Angelegenheit einerseits nicht geklärt wurde, d.h. möglicherweise ist es „nur“ zu Sex gekommen, wie die Blogboys auch meinen, andererseits habe ich grundsätzlich nichts gegen die Verwendung eines Begriffes wie „erzwungener Sex“ und sehe darin selbstverständlich eine rechtsbrechende Gewalteinbringung. Der Begriff Sex ist nicht genuin romantisch.

Aktualisierung vom 9. Juli

In der Neuen Westfälischen wird heute der Vorwurf der Gleichstellungskommissionsvorsitzenden der Fakultät an die Universitätsleitung konkretisiert:

Die Vorsitzende der fakultätseigenen Gleichstellungskommission, die als Vertraute der Anzeigenerstatterin intern in die Kritik geraten war („Vermengung von Funktion und Privatmeinung“), bekräftigte nach dem Interview mit Rektor Timmermann ihre Vorwürfe gegen die Entscheidungen der Uni-Leitung: „Der Name der Betroffenen ist schon im November im Personaldezernat genannt worden.“ Allerdings noch nicht im Zusammenhang mit den erst am 20. April geäußerten Vorwürfen, sondern „als abhängige Mitarbeiterin“. (…) Weder die Gleichstellungsbeauftragte der Uni noch die Personaldezernentin hätten damals die 27-Jährige zum Einzelgespräch gebeten, so die Kritik: „Das war Nichthilfe und verletzte Fürsorgepflicht.

Wie gesagt, der Umstand, dass mindestens zweimal innerhalb eines Semesters an die Universitätsleitung gerichtete Klagen von Studentinnen bezüglich des Umgangs mit demselben Professor auftauchen, ist laut Universitätsleitung als verschiedene Fälle zu betrachten. Selbst das Niederschreiben dieses Satzes gestaltet sich schwierig. Wahrscheinlich ist auch für die Universitätsleitung die ignorierte Klage von Studentinnen über das angeblich sexistische Verhalten des Professors vom vergangenen März ein ganz anderer Fall. Und die Klage als abhängige Mitarbeiterin – sicherlich ein ganz anderer Fall. Die Klage, bezüglich derer der Professor in diesem Semester einen Eintrag in die Personalakte erhielt: Ganz was anderes.

Der beschuldigte Professor seinerseits bleibt suspendiert:

(D)er Beschuldigte soll suspendiert bleiben, bis über den Sachverhalt (sexuelle Nötigung oder Vortäuschen einer Straftat) in einer Gerichtsverhandlung entschieden worden ist.

Und der Grund ist, dass er Klage wegen Verleumdung erhoben hat? Dass er verklagt wurde wegen derzeit nicht bewiesener sexueller Nötigung, die er abstreitet? Dass diverse Leute sich ihr Maul über ihn zerreissen?
Oder vielleicht doch der Selbstschutz der Universitätsleitung, die in diesem Verfahren möglicherweise Fehler gemacht hat, und deren Renomée nicht noch mehr beschädigt werden soll? Dann könnte man ja wenigstens einen der drei hier beteiligten Hauptakteure schätzen. Immerhin.

Aktualisierung vom 14.11.

Die NW berichtet: Für die Staatsanwaltschaft steht in dieser Angelegenheit Aussage gegen Aussage, so dass man nicht Anklage erheben möchte. Der Anwalt der betroffenen Studentin sieht das anders.

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5 Kommentare

  1. Moin, netter Artikel, aber es tritt nicht die Gleichstellungskommission der Uni zurück, sondern die der betroffenen Fakultät…

    Ansonsten weiter so,

    Gruß,
    Olli

  2. dieser prof ist seit monaten aufgefallen, aber niemanden hat es interessiert….die ganze fakultät wusste es schon vorher und niemand konnte dagegen angehen, da er dekan gewesen ist….alle hatten angst….

  3. Ich komme da nicht ganz mit:
    Die Betroffene konnte jederzeit, von Anfang an, zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Sie hätte dazu Unterstützung verschiedener Hilfsorganisationen, Beratungsstellen und Rechtsanwälte in Anspruch nehmen können. Sobald sie Anzeige erstattet hätte, wäre der Vorgesetzte sofort suspendiert worden, so wie es nun verspätet geschehen ist.
    Sie hat sich hilfesuchend an die Universitätsleitung gewandt, die sie auf Polizei und Staatsanwaltschaft hingewiesen haben und versucht haben, den Sachverhalt mit eigenen Mitteln aufzuklären.
    Nachdem dann Anzeige erstattet wurde, sind die internen Aufklärungsbemühungen eingestellt worden.
    Ist doch klar.
    Die Alternative ist: „Was geht uns das an? Gehen Sie zur Polizei, vorher machen wir gar nichts.“
    Bzw.: Man beschuldigt einen Mitarbeiter, woraufhin dieser dann aus dem Dienst entfernt wird. So könnte man sich prima manch missliebigen Vorgesetzten oder Kollegen vom Hals schaffen.

  4. Na – so einfach ist die Sache nicht. Dass die Betroffene das so machen könnte, ist richtig. Eine Anzeige zieht aber keine automatische Suspendierung nach sich, das sind zwei Paar Schuhe: Das eine ist ein uni-interner Vorgang und das andere ist die Klärung der Rechtslage. Ohne Klärung der Rechtslage gab es für die Uni aber nichts zu klären und das ist das Problem. Jetzt sind Betroffene und Betroffener auch durch das Vorgehen des Rektorats gedrängt, Klagen zu erheben. Da liegt noch einiges im Argen.

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