bielefelder religionszwist

Ein recht unverständlicher, kleiner Religionskrieg ist da zwischen Bielefeld und Berlin entbrannt zwischen Prof. Heinz Gess [auch bei Twitter] und Prof. Abdurrahim Vural, in dem beide teils einsichtlich recht und beide teils unrecht haben.

Vural erzürnt sich darüber, dass Gess den Islam eine Zwangsneurose nennt. Von allzu intensiven Rechtsschwierigkeiten möchte ich hierbei einmal absehen, denn inwiefern wer für was rechtlich zu haften hat, das kann ich nicht entscheiden. Vural jedenfalls sieht in den Ausführungen von Gess Beleidigungen gegen sich und seine Religion. Dagegen sieht sich Gess von Vural bedroht:

Mir ist völlig klar, dass die Aufforderung muslimischer Führer, Kritiker zu bestrafen, unter solchen Umständen jederzeit jeden in Deutschland treffen kann, der es nur wagt, den Mund aufzutun und negative Kritik an den unzumutbaren Verhältnissen in diesem Land der Unzumutbarkeiten zu üben, deren eine und nicht geringste die verbreitete konformierende Asozialität ist, die sich unter anderem auch als passiv-konformistische Hinnahme islamischer Herrschaftsansprüche äußert. Die kapitale Kulturindustrie und deren Massenmedien verstärken bis auf wenige Ausnahmen diesen Trend nachhaltig, indem sie erstens einem Kulturrelativismus huldigen, der schon längst die Grenze zum völkisch-religiösen Kulturrassismus, jener ideologischen Form, für die das „germanische“ oder „deutsche Christentum“ das übertragbare Paradigma bereitstellt, überschritten hat, zweitens die grundlegende Differenz zwischen Religionskritik als Ideologie und Xenophobie durch beabsichtigte Verschiebung und Verdichtung der beiden Begriffe zu einem Begriff „Islamophobie“ verwischen, der als solcher darum schon eine systematisch falsche Zustellung und als Begriff Ideologie ist, und drittens schließlich den in sich verkehrten, ideologischen Begriff „Islamophobie“ dann auch noch als eine Form von unterschwelligem Antisemitismus oder als eine dem Antisemitismus strukturgleiche Haltung definieren, mit dem paradoxen Resultat, dass die Kritik am islamischen Antisemitismus bzw. Antijudaismus, die zugleich auch Kritik am Islam in seiner gegenwärtigen Verfasstheit ist, selbst – weil angeblich „islamophob“ – als strukturell „antisemitisch“ zu gelten hat und dem Tabu verfällt.

[Falls mal jemand ein Buch schreibt mit dem Titel „Sätze, mit denen man seine Leser abhängt“: Dieser Satz da oben sollte nicht fehlen!]

Unrecht hat Vural meines Erachtens darin, Zitate von Internetseiten, zu denen Gess in keiner Verbindung steht, diesem anzulasten. Auf anderen Seiten steht zwar, Gess (der durch den Urheber fälschlicherweise „Professor der Universität Bielefeld“ genannt wird) habe gesagt, der Islam sei eine kollektive Zwangsneurose, aber ein verifiziertes Zitat ist das alleine nicht. Insofern müsste der Betreiber der Seite beklagt werden. Genau diese Haltung hat Gess, und ich denke, insofern hat er hier recht.

Grundsätzlich Recht hat Vural darin, zu beanstanden, dass der Islam eine Zwangsneurose genannt wird. Das ist eine pauschale Verunglimpfung einer Religion. Gess ist in Bezug auf Sigmund Freud, auf den die Rede von Religion als einer Zwangsneurose zurückgeht, bemerkenswert textgläubig: Er nennt Freuds Behauptungen schlicht Erkennntisse und insofern wirkt die Rede von einer Zwangsneurose eben nicht wie ein Zitat von Freud, sondern wie eine angebliche Erkenntnis. Warum Gess sich aber außer seiner Textgläubigkeit an Freud dazu wissenschaftlich berechtigt fühlt, vom Islam als Neurose zu sprechen, darüber bleibt er eine Antwort schuldig. Neurosen sind schließlich nicht Gess‘ Fachgebiet. Argumente, die diese Behauptungen stützen und die insofern für andere verstehbar sein können, bietet er nicht an. Das wäre gerade deswegen interessant, weil Gess meint, er führe einen wissenschaftlichen Diskurs.

Gess verfällt zudem im in einem holprigen Schriftdeutsch verfassten „Kollektive Zwangsneurose oder Strafbestand Islamophobie“ [pdf] in eine Art Galgenhumor: Über die angesprochene Präsidentin der FH Bielefeld kündigt er zur Schlichtung der Angelegenheit seinen Eintritt in die islamische Religionsgemeinschaft an. Auf diese Art wird das Bemühen des Lesers Herrn Gess ernst zu nehmen, auf eine harte Probe gestellt:

Ich gehe davon aus, dass Sie meine Stellungnahme dem Präsidenten der islamischen Religionsgemeinschaft zuschicken. Deshalb möchte ich hinzufügen, dass ich den Präsidenten darum bitte, mir das Beitrittsformular zur islamischen Glaubensgemeinschaft zuzuschicken, damit es mit der Bestrafung und der Angst endlich ein Ende hat.

Manchmal sind auch Präsidentinnen nicht zu beneiden.

An diesen offenen Brief angehängt findet man zudem das Solidaritätsschreiben von Dr. Richard Albrecht. Dieser kann sich zwar nicht genau an seine Freud-Lektüre erinnern, aber er findet es überzogen, in der Betitelung des Islams als Zwangsneurose eine Beleidigung zu sehen, weil Freuds Rede von der Religion als kollektiver Zwangsneurose in aller Munde sei. Er endet seinen Unterstützungstext mit der Annahme,

dass die aus dunkelmännerisch-obscurantistischer Anti- und Gegenaufklärung gespeisten Anwürfe gegen Dr. Heinz Geiss wenn nicht von den Urhebern selbst zurückgenommen so doch behördlicherseits als absurd zurückgewiesen werden.

Nee, is klar. Dunkelmännerisch-obscurantistisch! Soviel mal zum Thema Neurose.

Wer in diesem Streit Recht hat? Man sollte sich am besten selbst darüber ein Bild verschaffen, beide Professoren halten Ihre Leser schließlich über ihre Internetseiten auf dem Laufenden.

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10 Kommentare

  1. Es gibt einen Shirt-Spruch, der lautet „Religion ist heilbar“. Als Satz auf einer Textilie völlig OK, ich find‘ ihn sogar gut. Als Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung in akademischem Duktus ist er aber denkbar ungeeignet.

    Grundsätzlich kommt diese „Neue Atheisten“-Haltung schon wie ein Beißreflex rüber, und das nervt. Genauer gesagt kann man wegen der Ideologiehöhe die eigentlich wissenschaftlich argumentierenden Atheisten kaum noch, und wenn dann nur sehr schwer unterscheiden von denen, die sie angreifen. Schade!

  2. Ja, T-Shirt-Sprüche sollte man T-Shirt-Sprüche sein lassen. Ich erinnere mich an einen Bekannten, der rot vor Wut wurde bei dem Spruch „God hates us all“, der irgendwo stand. Verschwendete Energie irgendwie.

    Religion ist sicherlich für viele die Form einer einfachen Beantwortung von Fragen, die man nicht abweisen kann. Man macht es sich aber zu einfach wie Dawkins & Co. wenn man schlicht behauptet, dass empirische Analysen der Religion den Boden unter den Füßen weg ziehen. Das tun sie eben nicht, oder zumindest nur dem schwärmerischen Religionsglauben, der Geschehnisse in der Welt ohne kritisches Hinterfragen und Argumentieren schlicht für göttliches Eingreifen hält.

    Ich finde Kants Gedanken ganz einleuchtend, dass die Menschen einer Idee Gottes als einheitschaffende Idee bedürfen, wenn sie die Frage quält, wozu ihr gut intendiertes Handeln letzten Endes führt. Aber es ist eben nur eine Idee und für Menschen, die diese Frage nicht quält unerheblich. Dennoch verwenden diesen Gedanken viele Menschen, die sich eigentlich als Atheisten bezeichnen würden.

  3. Hm, „God hates us all“ ist der Titel eines Slayer-Albums ;o)

    Ich kann dein Argument nachvollziehen, bin aber eher auf der Seite der knallharten Wissenschaftler. Natürlich ist es für einen Gläubigen irrelevant, dass die Wahrscheinlichkeit für die Existenz von Göttern äußerst gering ist. Aber das sollte man respektieren, anstatt es zum Anlass zu nehmen, zu spotten.

    Ich habe das vor einiger Zeit in einen Artikel einfließen lassen, wenn ich den grade mal kredenzen darf: http://tina-andi.blogspot.com/2009/08/was-alice-schwarzer-und-die-neuen.html

    Danke ;o)

  4. Ja, siehste, wieder mal ne Wissenslücke geschlossen, bin aber auch kein Slayer-Experte.

    Das mit der „Seite der knallharten Wissenschaftler“ ist allerdings äußerst selbstbeweihräuchernd, das soll ja auch nur dazu dienen, ohne Argumente andere auszuschließen. War Kant etwa kein derartiger Wissenschaftler? Sein Gedanke von der „notwendigen Idee Gottes“ wird in den „knallharten“ Narturwissenschaften als regulatives Prinzip allenthalben ebenso verwendet. Natürlich ohne dass deren Forschungsergebnisse sich auf diese, sagen wir mal, Hilfsannahme als Ursache beziehen.

    Ein Gläuber muss überhaupt nicht an die Wirklichkeit von Göttern glauben, das ist ja gerade die Cruix. Eine notwendige Idee sagt nichts über die wirkliche Existenz des Inhalts dieser Idee aus. Man muss nur überprüfen, ob es sich dabei nicht um eine, wie Kant es nennt, Chimäre, also ein Trugbild handelt. Daher scheidet der Manager-Gott aus.

    Allerdings ist der Versuch, die Idee Gottes zu falsifizieren ebenso aussichtslos wie der Versuch, ein phänomenales Einwirken eines über allem wachenden Gottes in der Welt zu beweisen.

  5. Da habe ich wohl etwas zu forsche Worte benutzt, tut mir leid. Na klar war Kant in seiner Methode knallhart. Nachzulesen zb in der philosophischen Hintertreppe …

    Ich verstehe Deinen Einwand in etwa so: Pipi Langstrumpf hat eine Idee des „Spunk“. Ich kann versuchen ihr zu beweisen, dass es keinen Spunk gibt. Und werde scheitern, weil ich es in letzter Konsequenz nie können werde. Und selbst wenn es gelingt: Pipi hat ja die IDEE vom Spunk.

    Na, auf der Grundlage können wir nochmal über Götter reden. Oder fliegende Spaghettimonster, unsichtbare rosa Einhörner oder was man sich noch alles hat einfallen lassen. Die Idee eines Gottes lässt sich so natürlich nicht widerlegen, aber warum auch, wenn die wahre Existenz eines solchen ohnehin so gut wie ausgeschlossen ist?!

    Und zuguterletzt hat das, was im Namen von Göttern bislang so verzapft wurde, in sehr vielen und in sehr drastischen Fällen eher nichts mit gut intendiertem Handeln zu tun …

  6. Also, nichts, von dem, was ich hier von mir gebe, ist auch nur irgendwie persönlich herabsetzend gemeint. Salopp gesagt, nicht persönlich, aber das ist es ja doch irgendwie.

    Die philosophische Hintertreppe ist nun sehr knapp gehalten, darauf würde ich eher ungern verweisen. Aber egal.

    Ich habe mir schon gedacht, dass deine Themenbegrenzung die Gläubigen als Fürwahrhalter derartiger Spunks eingrenzt. Es gibt sicherlich auch solche Menschen. Allerdings umfasst diese Begrenzung eben nicht das gesamte Gebiet, von dem als Religion gesprochen wird.

    In der Philosophie ist dein Spunk vergleichbar mit der perfekten Insel, die ein Mönch gegen Anselm von Caterbury aufführt, um zu zeigen, dass dessen Idee Gottes eben nur eine willkürlich für perfekt gehaltene Idee ist ohne Verifizierungsmöglichkeit.

    Anselm verweist selbst aber darauf, dass dem Menschen diese Idee von Vollkommenheit („das, über das hinaus nichts größeres gedacht werden kann“), was als sein Gottesbegriff genommen wird, wesentlich näher ist als der Gedanke irgend eines andern für perfekt gehaltenen Objekts.

    Nun shceint Anselm auf Grund dieser Beziehung auf das menschliche Denken davon aus zu gehen, dass dieses Objekt Realität besäße, was wohl ein Fehlschluss ist.

    Damit ist aber einerseits die Idee Gottes nicht aus dem Felde geschlagen. Andererseits ist nicht gezeigt, dass es sich bei dieser Idee um ein unhaltbares Trugbild handelt, nur weil Naturwissenschaften für Naturphänomene die komplexesten Erklärungen gefunden haben.

    Das heisst selbstverständlich nicht, dass hier nun von einer anderen Art des Denkens ist, von einem Ausschalten der Vernunft als Übergang zu einer Tätigkeit des Glaubens.

    Naturwissenschaftler falsifizieren aber nun einmal diese Idee nicht im geringsten, auch diese „Die Wahrscheinlichkeit, dass es Gott gibt, ist gering“-Thesen sind keine Aussagen über die Welt. Kant geht nur soweit zu sagen, dass es eine rechtmäßige Verwendung der Idee Gottes gibt (nicht des Begriffs), worüber man sicherlich streiten kann. Ein Spunk oder eine perfekte Insel fallen allerdings nicht unter diese Ansicht.

  7. Ich finde du argumentierst hart an der Sache, ich habe mich bislang nicht herabgesetzt gefühlt.

    Ich kenne mich in dem Bereich wenig aus, aber ich versuche es zu verstehen. Mein Einwand wäre: Die Nichtexistenz einer „Idee“ kann nicht bewiesen werden. Nie. Und es ist daher egal, wie diese Idee aussieht.

    Göttliche Ideen gibt und gab es in Hülle und Fülle. Und es waren einige dabei, die alles andere als vollkommen waren. Einige dieser Ideen gehen so weit, dass diese Götter fehlbar sind und gegeneinander kämpfen.

    Es ist vielleicht eher eine Frage der Definition, was hier genau mit „Göttlichkeit“ oder „Vollkommenheit“ gemeint ist. Denn auch oder gerade die (mit Verlaub übrigens äußerst abstrakte) IDEE von Göttlichkeit spiegelt am Ende vielleicht nur eine allzumenschliche Sehnsucht wider, die er, der Mensch, (und das ist ja abslut verständlich) wiederum zu bestätigen, zu retten versucht.

    Du siehst, ich kann nicht anders, als den Glauben als Phänomen zu sehen, den man kulturwissenschaftlich, vielleicht psychologisch und mittlerweile ja sogar neurologisch untersuchen kann.

    Und ganz abgesehen von abstrakten Begriffen finde ich es schlicht nicht akzeptabel, Glaubensinhalte mit Waffengewalt umzusetzen (dabei darf man übrigens auch gerne mal an die IRA denken, die macht immer mal wieder gerne den ein oder anderen Anschlag), sie als Mittel zur Umsetzung eigener wirtschaftlicher oder politischer Ziele einzusetzen, mit ihnen unliebsame Frauen zu verbrennen oder sie zu nutzen um kleinen Jungs am Schniepel rumzuspielen (dazu ein kleiner Ausschnitt, der mich jedes Mal fassungslos werden lässt: http://feuerbringer.com/2009/05/28/opfer-des-irischen-missbrauchs-spricht/ ) . Beispielsweise. Und deshalb ist es aus meiner Sicht absolut gut und richtig, die Vor- und die Nachteile abzuwägen, die eine kulturprägende Religion so hat. Und bei bislang keiner überwiegen da die Vorteile. Das ist alles so was von überhaupt nicht vollkommen oder gut intendiert gehandelt, dass ich den Gegenbeweis einer gut klingenden Idee gerne schuldig bleibe.


    Es macht Spaß, eine solche Diskussion zu führen. Was mir bei meinem ersten Kommentar aber eigentlich wichtig war ;o) ist, dass man Gläubige nicht aus einer Art Almanacharroganz abwertend behandeln darf, ganz gleich ob man gute Argumente oder wissenschaftliche Erkenntnisse hat. Und der Vergleich mit einer Geisteskrankheit oder Störung gehört meiner Ansicht nach genau in diese Kategorie.

  8. Ich denke, bei Kant ist es sehr wichtig zu sehen, dass er von einer notwendigen Idee Gottes spricht und nicht von einem Begriff, also etwas, das man begreifen kann, von dem man sich einen Begriff macht. Und von dieser Idee gilt es bei Kant oder nach der Kantischen Argumentationslinie zu zeigen, dass diese eine berechtigte Anwendung hat.

    In dieser Herleitung, weswegen man die Idee mit Recht anwenden darf, unterscheidet sich diese Idee bspw. von der Idee eines Spunks. Es ist nicht völlig herbeigewunken, was zu dieser Idee gehört und was nicht. Ein Eingreifen Gottes in die phänomenale Welt oder ein Verantwortung-auf Gott-abschieben lässt sich darauf so wenig beziehen wie ein Für-wahr-halten, dass Gott existiert.

    Kant kann man sich ja insoweit nähern, dass man einräumt, dass für einige Menschen eine derartige Idee ihrem Denken ein hilfreiches Ordnungsprinzip verschafft.

    Kant setzt mit seiner notwendigen Idee Gottes hier an. Er meint, dass der Mensch sich zwangsläufig fragt, was denn dabei wohl rauskommt, wenn er sich immer sich und anderen gut gegenüber verhält. Die Gefahr ist also, dass er skeptisch meinen könnte, gutes Verhalten wäre für ihn letzten Endes nutzlos.

    Wir sind also hier weniger in einem philosophischen als mehr in einem anthropologischen Bereich. Man kann ja sagen, die Chancen, dass gutes Verhalten mir schadet oder nutzt (oder zumindest nicht schadet) stehen 50:50. Durch seinen Skeptizismus wären viele Menschen wohl geneigt, hierdurch pessimistisch zu sein oder negativ gesehen, opportunistisch, was das Ausnutzen des Verhalten anderer angeht.

    Insofern ist die Idee Gottes ein passendes Hilfkonstrukt. Das finde ich auch soweit eher unproblematisch. Diese Möglichkeit kann man ja einräumen, und wenn man ihrer nicht bedarf, kann man sie ignorieren.

    Kurz: Wenn der Mensch eine natürliche oder sittliche Ordnung denken will, benötigt er die Idee Gottes, da sich ansonsten eine derartige Ordnung nicht denken lässt. Dazu ist das menschliche Denken schlicht zu begrenzt, auch heute noch, was einige Naturwissenschaftler gerne überspielen möchten. Aus dieser Idee selbst erwachsen aber keine Erkenntnisse (und der Kreationismus ist doch eigentlich nur das, wogegen die Naturwissenschaftler angehen) und auch keine dogmatischen Forderungen (das uns Irritierende bei vielen islamischen Regeln, aber auch wenn Bischöfin Käßmann meint, man könne nicht gegen etwas handeln, was die Bibel fordere).

    Naturwissenschaftler verwenden selbstverständlich eine solche Ordnung vorgebende Idee, sie nennen es halt manchmal eher Natur. Würden sie annehmen, es sei irrational einer derartigen, gänzlich unbegründeten Ordnung hinterherzuforschen, dann wäre es ja irrational zu forschen. Die Forschungsergebnisse sprechen hier schon einfach gegen und ich denke das Forschen beflügelt nicht nur das Anhäufen von Ergebnissen, sondern ebenso der Gedanke an das Aufdecken der Idee dieser Ordnung.

  9. KLasse, vielen Dank für die Erklärung. Ich denke, langsam komme ich dahinter. Und wie vermutet, ist es eine Definitionssache:

    „Naturwissenschaftler verwenden selbstverständlich eine solche Ordnung vorgebende Idee, sie nennen es halt manchmal eher Natur.“

    –>Was andere Natur nennen, nennt Kant Gott. Auch wenn er da an einen ganz bestimmten Gott denkt, und nicht universell (also inkonsequent) ist, würde ich mal sagen: Hm, von mir aus ;o)

    Wissenschaftler sträuben sich auch nicht wirklich gegen eine Idee in diesem Sinne, sondern gegen die sich daraus bildenden Religionen und ihre Auswirkungen. Kreationismus gehört sicher dazu, ist aber nur eine Auswirkung von vielen.

    Dass gerade Kant mit einer so schwer greifbaren, mit dem Verstand nicht erfassbaren Erklärung kommt, finde ich komisch. Er war es, der eine wunderbar einfache Möglichkeit ausbaldovert hat, mit der moralisches Handeln ganz ohne göttliche Einmischung geregelt werden kann. Ich meine den kategorischen Imperativ. Der Satz agiert mit den Folgen moralischen und nicht-moralischen Handelns, nur mit Hilfe des Verstandes, ganz ohne Gott.

    In dem „Religionszwist“ geht es IMHO auch nicht um die Negierung einer göttlichen Idee im Kantischen Sinne, sondern um die Beleidungung einer „Religion“ (bzw., wie Rouven richtig einwendet, eigentlich „aller Religionen“). Und das, da sind wir uns ja einig, sind zwei unterschiedliche Ebenen. Wer Religion ablehnt, hat über diese kantische Idee demnach ja noch gar keine Aussage gemacht. Trotzdem, spannender Exkurs!!

  10. auch wenn er da an einen ganz bestimmten Gott denkt, und nicht universell (also inkonsequent) ist

    Nee. Kant denkt gar nicht an einen Gott. Er geht ja so weit, zu sagen, es gibt weder theoretische noch praktische Erkenntnis über Gott. Und inkonsequent ist er, soweit ich das sehe, auch nicht.

    Dass gerade Kant mit einer so schwer greifbaren, mit dem Verstand nicht erfassbaren Erklärung kommt

    Nee. Kants Ausführungen sind durchaus verständlich. Moral- und Religionsphilosophie beeinflussen sich bei Kant den Begründungen nach nicht. Der skeptische Zweifel am Ergebnis vermeintlich guten Handelns ruft allerdings die Religionsphilosophie auf den Plan. Wer einen derartigen Zweifel nicht kennt oder ohne Religion auskommen will, der hat sich nach Kant immer noch an die moralischen Gesetze zu halten, denn die sind ohne göttlichen Einfluss begründet.

    Beim Rechtsstreit, in den ich mich wie geschrieben nicht einmischen möchte, geht es sicherlich um Beleidigungen. Diesen liegt aber eine unterschiedliche Religionsauffassung zugrunde, die zunächst von Herrn Gess thematisiert wurde. Und dieser habe ich mich kritisch genähert.

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