toleranzgrenze

Toleranz ist ja sowas, was man sich gerne zuschreibt. Meist auch in gedanklicher Verbindung zu irgendwelchen Situationen oder Ansichten, die man locker respektiert, ohne sie selbst umsetzen zu wollen. Denkste. Ja, denkste.

Gestern saßen wir in der Straßenbahn auf einem Vierer. Ich sitze gerne auf dem Vierer, nicht wegen eines Viererallmachtsanspruchst und ich finde es auch nicht sonderlich skandalös, sich auf einen Vierer zu setzen, auch wenn man nur zu zweit sitzt, und eventuelle eine Vierergruppe zum Splitting veranlasst.

Jedenfalls, wo war ich? Ach ja, wir saßen zu zweit auf einem Vierer in Fahrtrichtung, weil der Blick von da aus angenehmer ist und man sich nicht beengt fühlt. Da kamen zwei Leute, eine ältere, moppelige Frau und ihr spargeltarzaniger Begleiter herein und zwängten sich auf die zwei freien Plätze vor uns. Erst dachte man, er sei ihr Betreuer.

War aber wohl nicht so. Vielleicht doch eher der Sohn, oder ein Bekannter. Denn er erzählte von den positiven Entwicklungen in seinem Leben. Er sei jetzt eine Woche schon runter vom Alkohol, weil sein Arzt ihm gesagt hätte, das würde sich nicht mit seinen Tabletten vertragen.

Wenig interessiert begann dann die Kinnbarttragende neben ihm, ihn zu befummeln und abzuknutschen. War wohl doch irgendwie mehr als Freundschaft, auch wenn er sich nicht davon abbringen ließ, die Arztgeschichte weiter auszuführen, als sei der Kern der Geschichte noch nicht übergekommen. Es sah nicht gut aus. Und es hörte sich nicht gut an. Man fand es auch nicht gut, an dieser Situation teil zu haben.

Spontan entschieden wir uns, an der nächsten Haltestelle auszusteigen und den Rest zu Fuß zu bewältigen. Für noch zwei Haltestellen hat unser Toleranzvermögen einfach nicht gereicht.

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Вера Брежнева – Реальная жизнь

Hm, hatte ich über Vera Brezhneva noch nichts gebloggt? Nur im Schneckenradio? Vera Brezhneva hat den ukrainischen Sommerhit 2011 abgeliefert, in dem sie sich freut, dass das Leben so schön ist. Wundern sollte man sich nicht über die Adler, das Backentatschen und die Autos im Video, das sind allgegenwärtige Statussymbole in russischen Musikvideos.

In der Ukraine bin ich übrigens dauernd gefragt worden, ob ich auf die Frau abfahre. Tue ich nicht, ich finde nur die Musik gut zum Hampeln.

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brillenfahrrad

Brillengeschäfte sind Geschäfte, in denen ich mich nicht sonderlich gerne bewege. Das ist bestimmt ein persönlicher Hau, aber es ist eben so. Brillen sind nicht gerade billig, mir stehen eckige Brillen so gar nicht, und bunte Brillen mit dicken Rändern, nein, die scheinen mir auch nicht zu stehen. Deswegen fühle ich mich in Brillengeschäften, wenn ich selbst Ausschau halte immer wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich möchte am liebsten nicht behelligt werden, aber das lässt ja doch niemand zu.

Nun wollte ich doch mal wieder los, mir so ein Nasenfahrrad zu besorgen, denn besser wird die Sehfähigkeit im Alter ja auch nicht. Mein erster Spatziergang führte mich in das Geschäft, das mir die letzte Brille verkauft hatte. Der Besitzer ist inzwischen verstorben, leider und viel zu früh. Das Geschäft sah aber noch genau so aus, hatte jedoch nur längliche, eckige Brillgestelle. „Was möchten Sie aus sich machen?“, fragte der Verkäufer. Toll, diese Gewichtung macht mir die Suche nicht gerade leichter. Eckig kam sowieso nicht in Frage. Ich komme wieder. Sprach’s und eilte zur Tür.

Mein nächstes Brillenladenziel führte an einem Brillenstatussymbolladen vorbei. So schon mal gar nicht, denke ich beim Betrachten der vollhaarigen Brillenmodels, die sicher privat nur Kontaktlinsen tragen.

Naja, da vorne ist ja schon mein Ziel. Großer Eingang, keine Tür aufschieben. Dafür DINGDONG, ne Klingel. „Was suchen Sie?“, begrüßt mich die Bedienung. SEHEN SIE DAS NICHT?, brüllt mein inneres Ich, DIE KÄSEABTEILUNG! Aber nein, meine Erziehung drängt mich zu sagen, dass ich halt irgendwas, was zu diesem Quadratschädel passt haben möchte. Mir werden eckige Gestelle vorgeführt. Raus aus meiner Privatsphäre! Doch halt.

Da liegt eine Brille, so schätze ich, die hat dieselbe Form wie meine verlorengegangene. Ein Ausweg. Keine Kompromisse. Keine Experimente. Wie schön. „Die steht Ihnen, die gefällt mir.“, sagt die Verkäuferin. Ich nehme sie trotzdem.

Jetzt sehe ich wieder. Bestimmt taucht die alte bald wieder auf. Ist immer so.

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