westfälische idiome (viii): pröddeln

Pröddeln gehört zu den männlichen Aktivitäten, die von Frauen und Nichtpröddlern aus Unkenntnis gerne zu den stupiden, eigenbrödlerischen Handlungen gezählt werden. Bei einer solchen negativen Beurteilung wird grundsätzlich die kontemplative Charakteristik dieser Tätigkeit außer Acht gelassen.

Pröddeln ähnelt dem Suchen, indem man während dieser Beschäftigung verschiedene Gegenstände erkennend unter die Lupe nimmt. Man kann in einer Schublade, einem Raum oder auch einfach in der Hosentasche pröddeln, solange sich dort eine noch nicht gänzliche erfasste Anzahl von Gegenständen befinden. Ein Pröddeln endet, wenn man keine Lust mehr hat, wenn man alle Gegenstände erfasst hat oder wenn man tatsächlich etwas Interessantes gefunden hat.

Es ist also weniger ein Suchen nach einem bestimmten Gegenstand als vielmehr ein kontemplatives Finden von etwas, von dem man beim Pröddeln noch nicht weiß, was es ist. Auch und gerade wenn es nicht mehr als eine gewisse Ruhe und innere Einkehr ist.

Verwandte Tätigkeiten sind das überlange Aufhalten im eigens dazu eingerichteten Hobby-Keller, auf dem Dachboden, in der Garage, in Elektronikfachgeschäften, Baumärkten, Musikläden oder Buchhandlungen. Ebenso zählt das sitzende Nichtdenken dazu, das von Frauen nie als solches akzeptiert wird und mit einem Was denkst du gerade? empfindlich gestört wird.

Weiterlesen

westfälische idiome (vii): völlig banane sein

Das heutige Idiom gehört zu denjenigen, die im Westfälischen vorkommen, auch wenn der genaue Ursprung nicht bekannt ist. Es handelt sich um den Ausspruch: Das ist doch völlig Banane.

Es können nur für den Redner eher abstrakte Gegenstände Banane sein. Man sagt also nicht Dieses Haus da ist Banane. Ein solcher Ausspruch würde allerhöchstens Kinder belustigen. (Der Geschmack eines Eises kann natürlich weiterhin Banane sein; hierbei bezieht man sich aber nicht auf ein Sein, sondern lediglich auf eine sinnliche Wirkung, also ein So-Sein.)

Man kann dagegen sagen Die Architektur des Hauses finde ich völlig Banane. Ebenso kann man ein verlorenes Spiel einer Fussballmannschaft analysieren, indem man sagt, das taktische Vorgehen auf dem Spielfeld sei völlig Banane gewesen.

Mit Banane bezieht man sich hier also präzise auf eine nicht-adequate gestalterische Umsetzung einer Idee, nicht auf den Gegenstand selbst, der diese gestalterische Umsetzung darstellt. Der Sachlage nach könnte der Redner daher auch sagen, dass die Umsetzung der Idee der eigentlichen Idee dessen, was umgesetzt werden sollte, nicht zuträglich ist. Mit Das ist doch Banane fügt der Redner hinzu, für wie gescheitert er auch persönlich diese Umsetzung empfindet. Es ist also keine rein sachliche Analyse. Diese sind dem gemeinen Westfalen aber eh suspekt.

Das Wort Banane wird wohl gewählt, weil eine Banane eine gekrümmte Form hat, deren Zweck („Warum ist die Banane krumm?“) sich vielen nicht erschließt, was widerum eine gewisse Irritation nach sich zieht. Da diese Irritation aber dem eigenen Unwissen entstammt, nicht der Unerklärbarkeit, warum Bananen gekrümmt sind, ist diese Irritation für Kenner natürlich auch irgendwie wieder völlig Banane.

Weiterlesen

westfälische idiome (vi): etwas jemandem auskommen

Ein Auskommen meint herkömmlicherweise ein finanzielles Einkommen, mit dem eine Person gut leben kann, mit dem sie daher gut auskommt. Insofern passt das Eine gut zum Anderen.

Diese Rede, dass das Eine gut zum Anderen passt, wird metaphorisch übernommen zur Redeweise, dass etwas jemandem auskommt.

Man kann daher, wenn man mit einer Person einen Termin unter der Bedingung, dass dieser der Person passt, abmacht, für diese Bedingung auch sagen: Wenn’s Dir auskommt.

Ebenso kann man nach einer terminlichen Festlegung sagen Das kommt mir gut aus oder Das kommt mir nicht gut aus.

Weiterlesen

westfälische idiome (v): das darf doch nicht warstein

Das Idiom Das darf doch nicht Warstein bezieht sich in abgewandelter Weise auf die Redensart Das darf doch nicht wahr sein. Genauso verhält es sich mit Das kann ja nicht Warstein und Das kann ja nicht wahr sein.

Mit der idiomatischen Abwandlung von wahr sein zu Warstein wird eine inhaltliche Verbindung zu Wahrstein, resp. des Bieres, wodurch Wahrstein den meisten Menschen ein Begriff ist, erzeugt.

Dieser gewitzte Bezug zum Alkohol bereichert den Ausspruch um die inhaltliche Note, dass man die nervige Verzweiflung, die sich angesichts eines Zustandes in der Welt einstellt, nicht allzu schwer nehmen soll.

Der Ausspruch wird in der Form Das kann ja nicht Warstein auch verwendet, um beim Biertrinken irritiert darauf hin zu weisen, dass es sich beim angetrunkenen Bier wohl nicht um ein Qualitätsbier handelt.

[ Verwandtes Idiom: Du kriegst die Tür nicht zu. ]

Weiterlesen

westfälische idiome (iv): du kriegst die tür nicht zu

Das Idiom Du kriegst die Tür nicht zu wird im Westfälischen durchaus gebraucht, weil sein Ursprung aber eigentlich unklar ist, sollte man nicht unbedingt von einem rein-westfälischen Ursprung ausgehen. Da es hin und wieder dennoch zu Irritationen kommen kann, sei es hier vermerkt.

Mit Du kriegst die Tür nicht zu verweist ein Sprecher auf seine eigene Irritation bezüglich des Handelns einer anderen Person oder eines Zustandes in der Welt hin, der ihm mit herkömmlichen Mitteln der Logik nicht zugänglich ist, auch wenn erhebliche Anstrengungen, diese oder dies zu verstehen, unternommen wurden.

Wahrscheinlich hat tatsächlich jemand einmal Probleme gehabt, eine Tür zu zukriegen und scheiterte daran, dass es einen Widerstand gegen das Zumachen gab, sei es, dass jemand dagegen drückte, der Rahmen sich verzogen hatte oder ein anderes, unbekanntes Hindernis da war. Für den Die-Tür-Zudrückenden sah es nach seinen Erwägungen aber so aus, als ob dem Tür-zu-machen nichts entgegenstünde. Dass es dennoch nicht klappte, gab ihm ein Rätsel auf, was den Ausspruch Du kriegst die Tür nicht zu nach sich zog.

Metaphorisch wird dieser Ausspruch im Westfälischen durchaus für alle Situationen verwendet, in denen ein Sprecher eine rationale Problemlösung einleuchtend im Kopf hat, das Problem sich dennoch derzeit so nicht lösen lässt.

Ein Fussball-Stürmer kann sich in dieser Hinsicht über Fehlendes Glück beim Tore schießen damit ärgern, dass er sagt Du kriegst die Tür nicht zu, auch wenn Türen im Fussball keine Rolle spielen. Auch der Torwart seiner Mannschaft kann mit dem Schicksal hadern, indem er diesen Spruch anwendet, wenn auch für ihn alles für einen Torerfolg spricht.

Zu beachten ist nur, dass dieses Idiom immer nur selbstreflexiv verwendet wird: Mit Du kriegst die Tür nicht zu meint der Sprecher immer nur seine eigene Gedankenirritation, nie die eines anderen. Würde der Torwart sich im obigen Beispiel mit dem Du in Du kriegst die Tür nicht zu auf den Stürmer und dessen scheiternde Versuche beziehen, bekäme er vom Stürmer nur unverständige Blicke. In jeder nichtreflexiven Verwendung von Du kriegst die Tür nicht zu denken Angesprochene sofort an vorhanden sein müssende Türen.

[ Verwandtes Idiom: Das darf doch nicht wahr stein. ]

Weiterlesen

westfälische idiome (iii): mit jemandem kramen können

Heute geht es um das Idiom mit jemandem kramen können. Etwas bekannter ist hier z.B. in einer Schublade kramen oder im Hobbykeller kramen oder etwas aus seiner Hosentasche kramen.

Diese Verwendungen haben nur insofern etwas gemeinsam, als dass diese Verbkonstruktion vornehmlich von Männern verwendet wird. Es wurde und wird u.a. stark im Bergbau verwendet und übertrug sich von dort aus etwas allgemeiner verwendet in die arbeitsunabhängige Alltagssprache.

Im Gegensatz zu „etwas aus der Hosentasche kramen“ ist aber „mit jemandem kramen können“ ein Werturteil. Es verhält sich mit diesem Idiom etwa so:

1. „Der Marc, mit dem kannste kramen.“
Betonung auf ‚dem‘.
Marc ist eine Person, mit der man vertrauensvoll arbeiten kann. Marc fühlt sich nicht zu schade für gewisse Aufgaben und kann auch mit anpacken, wenn es drauf ankommt. Er verzettelt sich nicht in überflüssige Diskussionen und arbeitet zur Not auch eigenständig und verantwortungsvoll. Mit Marc fühlt sich der Sprechende auf einer Wellenlänge. In der Rede mit anderen empfiehlt der Sprecher Marcs für gut empfundenen Charakter.

2. „Marc – da kannste wohl kramen mit.“
Betonung, wenn, dann auf ‚kannste‘.
Der Sprecher weiss, dass der Angesprochene in bezug auf Marc skeptisch ist, ob dieser verlässlich mit anpacken kann. Durch das Wörtchen „wohl“ impliziert der Sprecher, dass davon aber ausgegangen werden kann, wenn auch der Sprecher nicht meint, mit Marc hundertprozentig auf einer Wellenlänge zu sein.

3. „Marc, da kannste nicht mit kramen“
Betonung entweder auf ‚kannste‘ oder auf ’nicht‘ oder beides.

Es wurde versucht mit Marc zusammen zu arbeiten, aber Marc war beim gemeinsamen arbeiten keine unterstützende Hilfe. Der Sprecher sieht starke Unterschiede, was die Wellenlinie von sich und Marc angeht.

4. „Marc, da kannste einfach nicht mit kramen“
Betonung auf ‚einfach‘ oder auf ‚einfach‘ und ’nicht‘.
Es wurde mehrfacht, wahrscheinlich beruflich bedingt, versucht, Marc in ein gemeinsames Arbeiten mit einzubinden und es ist immer daneben gegangen. Der Sprecher ist nicht gut zu sprechen auf Marc und kommt auch rein charakterlich nicht mit ihm klar.

So gesehen mag die vornehmliche Verwendung von mit jemandem kramen können daher rühren, dass Frauen beim Mit-anpacken gedanklich in Westfalen eher außen vor sind.

____________________

Weiterlesen

westfälische idiome (II): drumzu

Bei dem Wort drumzu handelt es sich um eine westfälische und auch im Norddeutschen vorkommende Entsprechung des hochdeutschen Zirkumpositums herum.

Sage ich, ich gehe um das Haus, bedeutet das, dass ich vollständig am Haus entlang gehe, und am Ausgangspunkt wieder ankomme oder ich gehe nur halb am Haus entlang und gehe sozusagen geradeaus vom Ausgangspunkt gesehen weiter. Um ein Haus herum oder drumzu gehen sind Unterformen von um ein Haus gehen.

Sage ich, ich gehe um das Haus herum oder drumzu, so gehe ich in einem Winkel um das Haus, der größer als 180° ist. Das oben beschriebene geradeaus weitergehen, zählt also nicht dazu.

Durch drumzu soll allerdings die in Rede stehende Bewegung sprachlich deutlicher herausgehoben werden:

Du musst ganz um das Haus drumzu gehen!

Bei diesem drumzu wird mit drum ist die kreisförmige Bewegung gemeint, mit der um das Haus herum gegangen wird, und mit zu wird dargelegt, dass dieser Kreis, der gegangen wird, sich wieder schließt.

Drum in drumzu entspricht derselben Verkürzung wie drum in Sei’s drum, allerdings wird dem Inhalte nach etwas Unterschiedliches gemeint: Im ersten Fall wird da rum abgekürzt und im zweiten Fall darum, bei letzterem wird also auf eine Begründung angespielt, bei ersterem auf einen Objektbezug hingewiesen.

Weiterlesen

westfälische idiome (I): die erweiterung von kaffee-verben mit ’nach‘

Die deutsche Sprache hat über die Jahrhunderte hinweg im Westfälischen und im angrenzenden niedersächsischen Raum eine eigene Sprechweise erlangt, weswegen man in Westfalen auch sagt, man spreche hier nicht so richtiges Hochdeutsch, das wäre nur im Raum Hannover der Fall.

Die Erweiterung von Verben mit nach hat einen allgemein akzeptierten Status bekommen, über den sich mittlerweile nur noch Nichtwestfalen wundern. Grundsätzlich ist diese Verwendung bekannt, z.B. bei dem Wort nachkaufen an der Börse. Sie haben Aktien gekauft und kaufen weitere hinzu. Dadurch erweitern Sie in einem zweiten Schritt ihren Bestand dieser Aktien.

Diese Verwendung ist der im Westfälischen ähnlich, auch wenn die Akzentuierung nicht darauf gelegt wird, dass man einen Bestand erweitert. Sie kommt vor allem beim Kaffeetrinken zum Tragen.

So fragt man z.B. Darf ich Dir noch ein bisschen Kaffee nachschütten?

Die Menge an Kaffee ist hier nicht relevant. Im Falle des letzteren würde man lapidar fragen:  Möchtest Du noch mehr?

Es wird nur höflich angezeigt, dass sich die angesprochene Person in der Beschäftigung des Kaffeetrinkens befindet, und die Frage zielt darauf, herauszufinden, ob man den Vorgang durch weiteres Hinzufügen von Kaffee unterstützen kann.

Weiss der Einschütter nicht, ob der Befragte sein Kaffeetrinkvorhaben schon beendet hat, aber eventuell neu anfangen möchte, oder, wenn der Kaffeewillige sein Kaffeetrinkvorhaben erst startet, so fragt man ohne Verwendung des nach: Darf ich Dir noch was einschütten?

Bei fremden Personen, von denen der gemeine Westfale weiss, dass ein Siezen angebracht ist, und sich dieser Status auch offensichtlich nie ändern wird, spricht er von eingießen oder einschenken. Bei allen anderen potentiell freundschaftlich Gesinnten, spricht er von einschütten. So sind die Sätze Darf ich Ihnen noch etwas Kaffee einschütten? oder Darf ich Dir noch etwas Kaffee eingießen? dem Westfälischen ungeläufig bis suspekt.

Ist kein Kaffee da, muss man eben etwas Kaffee nachkochen. [Es ist, nebenbei bemerkt, ein Ausdruck der Höflichkeit im Beispiel oben Darf ich nachschütten zu sagen und hier Ich muss noch Kaffee nachkochen. Es ist nicht die Rede von einer Frage nach einer Erlaubnis oder von einer strikten Notwendigkeit. Das etwas deutet an, dass die Menge an Kaffee, die nachgekocht wird, nun wirklich nicht der Rede wert ist.]

Es kann ein weiterer Sonderfall eintreten, nämlich dann, wenn der eigentliche Akt des Kaffeetrinkens vorbei ist, aber noch Kaffee da ist. In diesem Sonderfall schüttet der Westfale den Kaffee nicht weg oder friert ihn ein. Er trinkt ihn selbst, auch wenn der eigentliche Akt des Kaffeetrinkens vorbei ist und sagt hierzu, wenn er gefragt wird, erläuternd: Ich hab eben noch zwei Tassen Kaffee nachgetrunken.

Achten Sie bitte im Umgang mit Nichtwestfalen darauf, dass ein geradezu selbstverständlicher Einsatz der Erweiterung von Kaffee-Verben mit nach in der freien Rede unverständige bis zurückweisende Blicke nach sich ziehen können.

Weiterlesen