kurt flasch – warum ich kein christ bin

Buchleser

Der englische Philosoph Bertrand Russell hat 1927 einen Vortrag mit dem Titel Warum ich kein Christ bin gehalten. Darin kritisiert er christliche Argumentationen wie Gottesbeweise und moralische Argumente als widerprüchlich und nicht konsistent. Ein Christ ist für Russell jemand, der an Gott, Unsterblichkeit und Christus glaubt:

Ich meine, man muss wenigstens daran glauben, dass Christus, wenn schon nicht göttlich, so doch zumindest der Beste und Weiseste der Menschen war. Wenn Sie nicht einmal soviel von Christus glauben, haben Sie meiner Ansicht nach kein Recht, sich als Christen zu bezeichnen.

Der deutsche Philosoph Kurt Flasch geht in seinem aktuellen Buch Warum ich kein Christ bin in ähnlicher Hinsicht diverse Textauseinandersetzungen mit biblischen Stellen und Argumentationen von christlicher Seite ein. Das alleine ist schon sehr lesenswert. Im Grunde sagt er aber gar nichts anderes als Russell:

Ja, ich bin kein Christ, wenn man unter einem Christen jemanden versteht, der an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt. (Kapitel IV.)

Für Philosophen ist es schon mal verwunderlich, dass auf einen so unklaren Satz verwiesen wird: Wie bedeutsam ist das „und“ im Satz? Was versteht man genau unter „glauben“?

In einem aktuellen Interview mit Papst Franziskus findet man den interessanten, auf das Christentum bezogenen Satz:

Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.

Einmischungen kann es wegen mir, sofern sie rechtlich akzeptabel sind, durchaus geben. Er könnte aber auch das Verbitten von Bevormundung bezüglich des eigenen Denkens meinen – und das wäre ein Hammer (nicht nur, weil man so Russell und Flasch den Wind aus den Segeln nimmt): Man könne als Christ Agnostiker sein, der sich an den Geschichten der Bibel orientiert, im Grunde seine Überzeugungen aber selbst verantwortet. In gewisser Hinsicht verstehe ich Kant so, der Beispiele aus der Bibel für passende Umsetzungen des Kategorischen Imperativs, der für sich genommen von Kant philosophisch hergeleitet wird, hält.

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dreiundneunziger

Ein Freund von mir erzählte, er wäre über Facebook auf ein 93er Abi-Treffen eingeladen und wolle hingehen. Ich habe ihn gefragt, was er da wolle, schließlich habe er 1993 nicht Abi gemacht, kenne aus dem Jahrgang kaum Leute und sein Lebenslauf sei nicht unbedingt zum Angeben geeignet.

Ja, und? Die kennen mich doch nicht. Denen kann ich doch irgendeinen Scheiß erzählen.

Stimmt auch wieder.

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westfälische idiome (VXII): finale ortsangabe mit ‚auf‘

Man versteht es in hiesigen Gefilden durchaus, wenn jemand davon spricht, er würde zu einer Beerdigung gehen. Es gibt daneben allerdings eine weitere Verwendung:

Ich geh‘ mit auffe Beerdigung.

Während mit der Aussage, zu einer Beerdigung zu gehen, lediglich die Absicht ausgedrückt wird, sagt die zweite Formulierung aus, dass man sich in einer Gemeinschaft wähnt („mit“) und das Ziel als solches ein Ereignis („auffe“) sei.

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peter buwalda – bonita avenue

buchleserMehr als 300.000 Mal wurde dieser Schmöker alleine in den Niederlanden verkauft. Es handelt vom Enscheder Hochschullehrer Sierius, dessen Kinder seiner Patchwork-Familie im Erwachsenenalter Probleme machen, was als heillose, gewaltvolle und sexuelle Katastrophe sein Leben zerstört.

Der Vergleich mit Jonathan Franzen hinkt, denn bei Bonita Avenue handelt es sich weniger um eine gesellschaftliche Analyse über eine Familie als um die Odysee eines familiären Niedergangs. Im Niederländischen reißt der Roman durch seine Wortgewalt mit, welche in der deutschen Übersetzung leider oftmals holprig daher kommt. Man braucht sicherlich einen längeren Atem, um mit dem Werk zurecht zu kommen, aber es lohnt sich.

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