nacktmodel oder nacktmodell

Ich habe eine Bekannte, die genetisch einen an der Klatsche hat, man möge mir diese Ausdrucksweise verzeihen. Es hat sich nur eine kognitive Fehlleistung eingestellt, was das Erkennen von Zeichen betrifft, und dieses erschwert Lesen und Schreiben. Dies hat aber keinen intellektuellen Ursprung und ist insofern quasi nur ne Macke.

Ich befand mich mit ihr dann mal in der Gelegenheit, Wortschreibweisen durchzudenken, und irgendwie kam das Wortpaar Model/Modell zur Sprache. Glorreich und voller Überzeugung habe ich den Unterschied beider Worte natürlich genau falsch dargelegt und wurde gottseidank danach berichtigt. Sprachlich habe ich eben ab und zu Macken.

Heute kam die wieder auf den Plan, als ich ein akzeptables Wort für Playmate heranziehen wollte. Geschrieben habe ich Nacktmodell. Das kam mir irgendwann verkehrt vor, da diese Tussis, die popkulturtechnisch dargestellt werden, doch immer Models heißen. Also nahm ich ein l weg. Aber man sagt doch Nacktmodell?!

Also nichts wie rauf auf Twitter mit dieser Schwierigkeit und hey, da gibt es jemanden, dem eine interessante Antwort einfällt zum Unterschied zwischen Nachtmodell und Nachtmodel:

Zunächst einmal finde ich die Erklärung ganz lustig. Die könnte aber auch hinkommen: Ein Nacktmodell ist ja komplett nackt für einen Maler beispielsweise und es geht mit die Modellartigkeit der vorgegebenen Figur, anhand derer man dann ein Portrait formt.

Nacktmodels werden oftmals in Fotostrecken aufgenommen, bei denen langsam weniger Klamotten getragen werden. Es steht zumindest nicht der rein ästhetische Gesichtspunkt im Vordergrund, sondern der erotische Reiz. Und das könnte tatsächlich der wesentliche Unterschied sein. Zumindest reicht es aus für den nächsten Partytalk.

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bratwurstjournalismus vs. fastfoodjournalismus

bratwurst

Während einige Printmedien ja noch den Bloggern entgegenhalten, dass sie keine Konkurrenz für den wahren Qualitätsjournalismus sein können, da nur der professionelle Journalist eben richtig gute Qualität hervorbringt, bringen eben diese professionellen Medien neue Formen von Journalisten heraus: Den Bratwurstjournalisten und den Fastfoodjournalisten.

Für den letzteren Begriff muss ich gradestehen, da ich zu Bratwurstjournalist eine begriffliche Entsprechung gebraucht habe. Denn auf meinen Eintrag So ist das mit dem Journalismus gab es die Erwiederung, der dort beschriebene Journalismus würde seit neuestem Bratwurstjournalismus genannt.

Was ich mit demjenigen Journalismus beschrieb, der offensichtlich vergeigten Aktionen im Lokalbereich mit Schönfärbung begegnet, damit seine Leser sich nicht von ihm abwenden, scheint mir doch noch etwas anderes zu sein als Bratwurstjournalismus. Um mich mal selbst zu zitieren:

Bratwurstjournalismus bezeichnet vielleicht nur den alltäglichen Lokaljournalismus, der belanglosen Aktionen einfach begrifflich nichts mehr abgewinnen kann: Dem Adventsbasar der Frauengemeinschaft, den Ehrungen zur 25jährigen Mitgliedschaft des Kegelclubs, das Tontaubenschießen des Schützenvereins und so.

Was ich meinte, war ja die gewollte Fastfoodisierung des Lokaljournalismus’. D.h. die Hervorbringung eines Produkts, das ohne Nährstoffe ist, schnell verzehrbar, leicht verdaulich und unter Vermeidung jeglichen Anspruches.

Das scheint mir den herkömmlichen Lokaljournalismus noch zu toppen. Der Bratwurstjournalist kann irgendwie nicht anders, der Fastfoodjournalist soll und darf nicht anders. Und er merkt dem Produkt seine Verfehlung irgendwann nicht mehr an.

Frank Schirrmacher hat vor 2 Jahren einmal den Qualitätsjournalismus in Form der Tageszeitung herausgehoben durch dessen mehrmalige textliche Überarbeitung:

„Im Internet“, so erzählte [ein dänischer Kollege], „hängen die Redakteure weniger an ihrem Text. In der Zeitung muss ich um jedes Redigat stundenlange Diskussionen führen.

Wenn die Herausgeber der Zeitungen dem wirtschaftlichen Druck allerdings weiter derart durch Verzicht einer kritischen Haltung des berichtenden Journalisten weiter betreiben, dann wird uns eines Tages der Qualitätsjournalismus so antiquiert vorkommen, wie heutzutage das von Schirrmacher beschriebene Warten vor Telefonhäuschen.

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so ist das mit dem journalismus

Neulich erzählte mir jemand, bei der Lokalzeitung sei das so eine Sache mit der kritischen Berichterstattung. Wenn der gemeine Westfale einen Veriss läse in der Zeitung, dann würde der pampig reagieren, einen bösen Leserbrief schreiben und dann die Zeitung abbestellen. Heutzutage natürlich ein geradezu verhängnisvolles Verhalten. Wer abonniert schon wieder eine Zeitung, die er mal abbestellt hat. Daher würde man kritsche Bemerkungen bei der Zeitung inzwischen eher vermeiden.

Abermals neulich erzählte mir jemand von einem Konzertabend, den er besucht habe. Die Band wäre noch passabel gewesen, die Sängerin aber hätte nie zur rechten Zeit einen richtigen Ton getroffen. Nach der Pause hing sie wohl so intensiv an ihrem Mikrofonständer, dass sich der Eindruck nicht verscheuchen ließ, dass sie derbe einen im Tee hatte. Derbe einen im Tee habe dann wohl auch der Zeitungsberichterstatter gehabt, dem das schaudrige Gekrächze laut Zeitungsbericht wie holder Engelsgesang vorgekommen sein muss.

Die Realität schön schreiben als Wirtschaftsmodell – da schreibt man sich wohl eher von der einen in die andere Krise.

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deutsche identität

Ich war mal in Dubrovnik auf einer Kant-Tagung und dort meinte ein Philosophie-Professor im Zuge einer Unterhaltung über Europas Verfassung, man solle doch den Begriff der deutschen Identität ad acta legen. Die Deutschen hätte damit keine gute Erfahrung gemacht und genau definiert wäre dieser Begriff auch nicht.

Ich habe mich dagegen ausgesprochen, diesen Begriff los zu lassen; nicht weil ich nationale Gefühle hege, sondern weil ich meine, darunter lässt sich etwas verstehen.

Unter Identität verstehe ich zunächst, dass es eine Vielzahl an Einflüssen gibt, durch die wir unsere eigene Person tagtäglich gekennzeichnet sehen. Erinnerungen, psychische Zustände, Gedanken, soziale und phänomenale Umgebung und so weiter. Ich glaube nicht, dass man jederzeit alle verfügbaren derartigen Einflüsse braucht, um sich selbst als die Person zu identifizieren, die man ist. Aber wenn keine derartigen Einflüsse da sind, oder zumindest nur sehr wenige, dann hat man für sich selbst keine Identität. Vielleicht gibt es dann noch Fotos oder Papiere, die etwas über seine eigene Person aussagen. Wenn man keine Einflüsse hat, kann man anhand derer seine eigene Identität wieder aufbauen.

Wenn man von einer deutschen Identität spricht, dann heisst das, dass es Einflüsse gibt, die aus der deutschen Region stammen. Man liesst deutsche Zeitungen, schaut deutsches Fernsehen, liesst deutsche Bücher etc. Ich glaube nicht, dass es biologisches Deutschsein gibt, das man übertragen könnte. Ehrlich gesagt, ich halte es auch für Blödsinn, so etwas an zu nehmen. Rein wissenschaftlich muss man aber sagen, es gibt keinen Nachweis, dass sich Gedanken biologisch weitergeben liessen. Das können auch die nicht, die irgendetwas in der Hinsicht behaupten und insofern ist es herbeigewunken, derart von einem Deutschsein zu sprechen.

Ich denke, jemand der einer deutschen Linie entstammt, in Deutschland geboren wurde und dann ohne weiteren deutschen Einfluss irgendwo anders aufwächst und sich an anderer Kultur orientiert: Derjenige hat hauptsächlich keine deutsche Identität. Andersherum: Jemand, der einer nichtdeutschen Linie entstammt, und in Deutschland mit all der deutschen Kultur groß wird: Derjenige hat eine deutsche Identität. Vielleicht in Teilen auch eine französische oder amerikanische. Das kommt ganz auf die Einflüsse an. Und diese Einflüsse sind sehr frei annehmbar. Wir haben einen viel besseren Kontakt zu ausländischen Ideen als vor Jahrhunderten. Das spiegelt sich auch in den persönlichen Identitäten wieder.

Und hieraus ergibt sich meines Erachtens ein geradezu logisches Scheitern der deutschen Rechten[1. Man muss den Begriff der Identität nicht deswegen fallen lassen, weil er den Rechten nützt, sondern sollte ihn analysieren, gerade weil er ihnen nur nützt, wenn man das nicht tut. ]: Ihr Identitätsbegriff ist so falsch wie veraltet, ihre Behauptungen über die Welt sachlich nicht überzeugend und keiner Analyse standhaltend, so dass ihnen immer nur bleibt, herauszuposaunen, dass sie Opfer sind: Opfer der aktuellen Politik, der Medien, der Mächtigen, die ihre Macht nur deswegen ausüben, weil sie sie haben. Opfer vor allem ihrer eigenen Engstirnigkeit. Wäre das irgendwie anders, müssten sie nicht dauernd selbstgewählt die Opferrolle bekleiden und müssten neuerdings nicht gekünstelt die Argumente ihrer Gegner über den bösen Kapitalismus annehmen. Da ist nichts eigenes, was heute erfolgreich verwendet werden kann. Kurz gesagt: Keine deutsche Identität, nur Angst, Hass und das Verlangen, eben dieser Angst und dem Hass Gehör zu verschaffen.

An dieser Angst- und Hassidentität haben die meisten Deutschen kein Interesse. Von den Rechten wird hierzu gerne gesagt, dass sei ein Verweichlichungsgehabe, diese Leute seien von den Mächtigen entmündigt. Wer Entmündigten helfen möchte, kann das aber nur durch Aufklärung tun. Aufklärung, die die großen deutschen Dichter und Denker befördert haben. Auf diese Denker verweisen die Rechten als „Denker“ gerne, verkennen aber, dass die großen deutschen Denker alle links gewesen sind.

Die rechtsnationale Idee ist in Deutschland keine Erfolgsgeschichte und die rechten Parteien sind nur bleibende Erinnerung an das stetige Scheitern dieser Idee. Diese Erkenntis ist auch und gerade Teil meiner deutschen Identität.

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moral und moralität

Ich will mal in einzelnen Artikel bestimmte Begriffsklärungen, von denen ich denke, dass ich sie im Folgenden noch gebrauchen kann, festhalten.

Ich beginne mit Moral und Moralität. Es ist sinnvoll den Unterschied zwischen dem Bezeichneten beider Begriffe vor Augen zu haben. Mit Moral lassen sich gesellschaftlich anerkannte Sitten klassifizieren. Diese Folgen bezüglich der Geltung das Moses-Prinzip: Es gibt einen Katalog mit Grundsätzen, der befolgt wird. Eine Begründung dafür, Folge zu leisten, ist dabei unklar, wird oftmals ohne weiteres angenommen. Beim Moses-Prinzip könnte man von göttlicher Weisung sprechen, aber was das genau heißt, ist auch noch unklar. Und weswegen man dies befolgen muss ebenso. Papst Benedikt XVI. spricht an solchen Stellen davon, dass sich die göttlichen Gesetze mit dem deckten, was „dem Menschen ins Herz geschrieben“ sei, belässt es aber bei dieser schwammigen, metaphorischen Ausdrucksweise und klärt die Sachlage nicht weiter[1. Joseph Ratzinger, Der angezweifelte Wahrheitsanspruch, (pdf) S. 4ff. „Der Sieg des Christentums über die heidnischen Religionen wurde nicht zuletzt durch den Anspruch seiner Vernünftigkeit ermöglicht. Ein zweites Motiv ist gleichbedeutend damit verbunden. Es besteht zunächst, ganz allgemein gesagt, im moralischen Ernst des Christentums, den freilich wiederum schon Paulus in Zusammenhang gebracht hatte mit der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens: Das, was das Gesetz eigentlich meint, die vom christlichen Glauben ins Licht gestellten wesentlichen Forderungen des einen Gottes an das Leben des Menschen, deckt sich mit dem, was dem Menschen, jedem Menschen, ins Herz eingeschrieben ist, so daß er es als das Gute einsieht, wenn es vor ihn hintritt. Es deckt sich mit dem, was „von Natur gut ist“ (Röm 2,14f.). ].

Man kann von den Inhalten der 10 Gebote sagen, sie seien Werte. Bringe niemanden um, begehre nicht deines Nachbarn Frau, stehle nicht. Fragt man nach einer Begründung, so scheinen doch die einzelnen Gebote unterschiedlich stark gewertet zu werden: Man hält doch das Begehren der Frau seines Nachbarn für weniger schlimm, wenn überhaupt, als das Ermorden einer Person. Historisch gesehen machte aber das Stehl-Verbot größere Probleme: die Menschenrechte, gesehen als ein derartiger Wertekatalog, entstanden dadurch, dass sich Bürger an die Kirche wandten mit ihrem Gewissenskonflikt, selber gut leben zu können, während andere Hungersnot leiden. Angehörige der Kirche reagierten daraufhin, in dem sie festhielten, man dürfe sich des Hab und Guts eines anderen bedienen, wenn dies die einzige Möglichkeit zum Überleben sei[2. 2. s. Scott Swanson, „The Medieval Foundations of John Locke’s Theory of Natural Rights: Rights of Subsistence and the Principle of Extreme Necessity “ History of Political Thought 18 (1997) 399­459, S. 399-459. ].

Unter Moralität verstehe ich nun die Gesinnung eines Menschen und basiert auf Rechtfertigungen vor sich selbst. Die Gesinnung geht nicht vollständig in derartigen Moralkatalogen auf. Man muss darunter vielleicht nicht zwangsläufig das verstehen, was Kant unter Moralität verstand, aber es gibt gute Gründe, es so anzunehmen.

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das wort, das nicht gesagt werden darf

Eine Rechtsanwältin erzählte mir, der Sohn einer Mandantin sei am Montag von der Polizei „wegen akuter Amokgefahr“ aus dem Unterricht geholt worden, weil ein Pädagoge bei ihm ein übertriebenes Interesse für Paintball festgestellt habe. In Schramberg wird ein 16-jähriger von der Polizei festgenommen und abgeführt, weil er in einem Brief an einen Mitschüler salopp einen Amoklauf ankündigt.

Man erwartet von Heranwachsenden, um zurecht zu kommen, eine ausgeprägte Rücksichtnahme auf wohlmögliche Ängste, die sie anderen bereiten. Sie müssen wissen, welche Sprengkraft allein ihre Sätze angeblich haben. Sie sollen dem Reiz, Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn sie provokant das Wort „Amoklauf“ verwenden, widerstehen. Sonst riskieren sie Polizeibesuch und die Härte des Gesetzes.

Ein Ibbenbürener Lehrer erzählte mir mal, das in letzter Zeit Irritierenste an seinem Job seien 13-jährige, die wegen zu schwachem Schulerfolg glauben, keine Chance mehr im Leben zu haben. Diese Gesellschaft ist so weit, dass schon 13-jährige nicht völlig unbegründet an Job- und Existenzängsten leiden.

So, und jetzt beantworten Sie mir mal folgende Frage: Wen kann eigentlich ein 13-jähriger verklagen, wenn man ihm so eine Angst macht?

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laufend amok

Jetzt ist also der nächste Amoklauf eines jungen Menschen passiert und man muss nicht unken, es wird kommende geben. Schule war immer eine Metapher für die Gesellschaft, war immer Ort von Demütigungen. Als ich die ersten Informationen von der Tat in Winnenden bekommen habe, war ich nicht geschockt, war nicht brennend interessiert, jede Information über die Medien zu ergattern. War das zynisch? Ich hatte einfach keine Lust, mich dafür interessieren zu müssen, was das nun schon wieder für ein Jugendlicher ist, der sich gedemütigt fühlt und der meint, eine derartige Tat sei ein ihm zustehendes Mittel, um sich für die Demütigungen, die er empfunden hat, zu entschädigen.

Ganz in der Nähe meines Heimatortes liegt Emsdetten, der Stadt, in der der letzte medial stark aufgenommene Amoklauf an einer deutschen Schule stattfand. Damals verstreute der Amokläufer viele Informationen im Internet. Profile in irgendwelchen Foren, Videos mit irritierenden Darstellungen, ein Abschiedsvideo, Tagebuchaufzeichnungen, die 30 Tage vor der Tat anfangen und langsam, Tag für Tag runter zählen: 30, 29, 28… Ich war schockiert über das abzählen der Tage, das Nummerieren, das Bewusstsein: Noch 30 Tage bis zum Ende, noch 29,… noch 2 Tage, … Ende. Ich sah den jugen Mann auf Straßen, die mir wohl bekannt waren, die ich ebenso entlanggefahren bin, sah ihn mit Feuerwaffen posieren im Tecklenburger Wald, meinem Tecklenburger Wald. Ich habe alles gelesen, was er im Internet hinterlassen hat und ich habe verstanden, wie bedrängt er sich gefühlt hat. Das kann man verstehen und das ist kein krummer Gedanke.

Wenn jetzt wieder ein Wort Johannes Raus hervorgeholt wird, dass „Wir diese Tat einfach nicht verstehen“, so bin ich widerwillig. Ich toleriere die Entscheidung nicht, dass man wegen des Gedankens, man selbst sei bedrängt, zum Loser abgestempelt, um Chancen beraubt, die eigene Subjektivität werde von der Gesellschaft negiert, eine Gewaltat gegen irgendwen, gegen Undschuldige unternimmt. Hier bergründet man einen Krieg, der vorher nur eingebildet war. Die Schulamokläufer hätten darauf kommen können, dass ihre Tat ihnen selbst verboten ist, das war aber leider nicht der Fall. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, er muss zur Gesellschaft erzogen werden. Der Emsdettener Amokläufer schreibt in seinem Tagebuch über einen Lehrer, der ihm freundlich gesinnt war, der versuchte auf ihn einzugehen, dessen Eingehungsversuch der Schüler aber ablehnt. Der Rachegedanke saß wohl schon tief, aber es ist sein eigener Fehler, eine ausgestreckte Hand abzuwehren. Ein moralischer Gedanke, der diesem jugen Mann durchaus bewusst werden musste, den dieser aber selbst weggestoßen hat.

Ich habe vor einiger Zeit mit einem Hauptschullehrer geredet, der mir sagte, das Irritierenste für ihn sei, dass er Klassen habe mit 13jährigen, die glauben, keine Chance mehr im Leben zu haben. Und er ertappe sich bei dem Gedanken, dass diese Schüler vielleicht nicht ganz unrecht haben. Diese Gesellschaft ist soweit, dass 13jährige berechtigterweise Existenzangst haben. Und da stellen sich Leute hin und sagen, sie verstehen nicht, wie es zu derartigen gegen die Gesellschaft unternommenen Ausbrüchen kommt? Damit bestätigt man den Verdacht der Bedrängten, sich ignoriert, sich in ihrer Subjektivität ungeachtet zu fühlen.

Wenn jemand anständig auf diese Amokläufe reagieren möchte, dann bitte nicht, indem er Johannes Rau zitiert. Sorgen Sie sich um die Frage: Was macht diese Gesellschaft für ihre Nachfolger? Was bietet sie ihnen an? Was mutet sie ihnen zu? Was ist in der städtischen Politikausrichtung für sie vorgesehen, was nicht? Wäre ich wohl ein zufriedener Mensch, wenn ich unter den Bedingungen eines sozialschwachen Mitglieds dieser Gesellschaft aufwachsen müsste? Wieviel gibt meine Stadt für Jugendarbeit aus und wieviel für die Wirtschaftsförderung? Ich will keine bestmmte Antwort hier hören, ich will nur, dass Leute sich solche Fragen stellen. Man kann die gefühlten Verlierer nicht mit Ignoranz ihrer Probleme vergüten dafür, dass sie nicht zur Waffe greifen.

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authentisch öffentlich beziehunggsgemäßes

Und wenn ich schon einmal dabei bin, hier zu sammeln, was ich anderswo intensiv kommentiere, hier mal meine Ansichten zum authentische PR-Blogartikel bei talkabout:

[1]

Der Text ist gut lesbar, soviel will ich mal voran schicken. Für einen kleinen Schönheitsfehler empfinde ich, dass der Begriff “Authentizität” nicht geklärt wird, nur in Richtung “Ehrlichkeit” geschubst wird. Nun besteht hierin aber gerade die Cruix. Ein PRler hat wie auch immer die Aufgabe, einen Verkaufsvorgang zu unterstützen. Es wäre also von einem angesprochenen, potentiellen Käufer etwas naiv, nicht im Hinterkopf zu haben, dass da gerade jemand etwas verkaufen will, auch wenn diverse Informationen, die der Verkäufer hat, stichhaltig sind. So ist von Produkt zu Produkt, von Firma zu Firma, von Verkäufer zu Verkäufer immer neu zu erkennen, in wie weit eine Verkaufsstrategie Rücksicht auf “Authentizität” nehmen sollte.
Gewinnt der Angesprochene den deutlichen Eindruck, die vorgegebene Ehrlichkeit sei nur Teil einer Verkaufskampagne, und damit nur Heuchelei, kann der Schuss sehr simpel nach hinten gehen.

Grundsetzlich kann man aber sagen, dass man nie sicher sein kann, dass irgendein Käufer einen Verkäufer gänzlich für authentisch, und somit für einen ausgewiesenen, unparteiischen Sachberater hält. Dazu wäre sehr viel persönliches Vertrauen nötig oder viel Naivität.

[2]

Ja, also ich bin leider noch so viel Philosoph, dass ich grundsätzliche Ausgangspunkte gar nicht teile. (Auch der andere Text ist gut gegliedert und geschrieben, btw.)

Problematisch ist folgendes:
a) Begriffliche Unklarheiten
b) Die Vermischung von Ethik und Wirtschaft, d.h. die Vermischung von Wissenschaftlichkeit und Organisationseinheiten, die dem Maßstab von Wissenschaftlichkeit, der da ist, der Wahrheit verpflichtet zu sein, nicht notwendig unterliegen müssen.

a) ist bei Prof. Marten schon zu finden, der insofern Recht hat, als dass es sicherlich der Fall ist, dass das In-Kauf-nehmen von Täuschungen durch Wirtschaftsakteure zu deren Repertoir gehört. Der Begriff ‘Lizenz’ ist wenn nicht irreführend, dann falsch. Falsch insofern, als dass hier etwas eigentlich Verbotenes erlaubt sei. Irreführend, wenn damit gemeint ist, es sei eine akzeptierte Technik. Den Begriff ‘täuschen’ verwendet er so, als könne man ihn ausschöpfend behandeln. Es liegt aber an Fähigkeiten einzelner, wie und wie gut sie täuschen und wie und wie gut sie getäuscht werden können. Ich zweifel, dass man das allgemein darstellen kann. Meine gebliebene Kritik an der Verwendung des Wortes “Authentizität” haben hiermit und mit b) zu tun.

b) Ich kenne keine sinnvolle Herleitung der Ansicht, dass es einen speziellen Bereich der Ethik gibt, die sich eigens auf wirtschaftliche Dinge bezieht. Während Ethik das Handeln von menschlichen Akteuren sich selbst und anderen gegenüber regeln soll, sofern ihre Handlungen Gefahr laufen, in die Freiheiten anderer unrechtmäßig einzugreifen, werden in der Wirtschaft Handelsbeziehungen geregelt. Es geht dort um Handel, nicht um die individuell verantwortete Sittenbeachtung Einzelner. Insofern kann man von diesen wirtschaftlichen Handelsbeziehungen von einem Spiel sprechen, dass gespielt wird. Natürlich kann es in Situationen, die wegen wirtschaftlichen Interessen zustande kommen, zu etischen Problemen zwischen diesen Individuen kommen, aber das ist nicht Gegenstandsbereich von Wirtschaft. Denn diese hat dem moralischen Verhalten Einzelner nichts zu sagen, da dieser alleinverantwortlich ist und seine Verantwortung weder rechtlich noch seinem Gewissen gegenüber ablegen kann.

Einen Kodex für PRler bezüglich des fairen Umgangs miteinander auszuklügeln, ist sicherlich reizvoll, scheitert aber als Wahrheitsannahme meines Erachtens an Grundannahmen, die nicht gerechtfertigt sind. Nochmal: So gut die Texte dazu auch formuliert sind. Ein kategorischer Imperativ bezogen auf wirtschaftliche Handelsbeziehungen ist nicht ratsam, weil er in einer Allgemeinheit für die einzelnen Beschäftigten nicht denkbar ist. Diese müssen selbst wissen, wie sie wirken, wie sie überzeugen, wie sie etwas gut verkaufen. Denn an letzterem, an einem äußeren Zweck, werden sie gemessen. Ethik steht und fällt nicht mit einem derartigen äußeren Zweck. Ob jemand ehrlich ist, kann höchstens jeder alleine wirklich feststellen, niemand von außen.

Als Spielregel kann man sowas lassen. Dann würde ich aber enorm viel Platz lassen für die individuellen Ausgangslagen. Da du aber schon von einer “praktischen Beschreibung” von Authentizität sprichst, kommt das dem, was ich Spielregeln nenne nahe. Praktische Beschreibungen scheinen keinem Wahrheitsanspruch zu unterliegen, sondern hier sollen sich Einschätzungen in der Praxis bewähren. Damit ginge ich d’akkord. “Authentizität” als “Glaubwürdigkeit” ohne notwendigen Wahrheits- oder Wissenschaftsanspruch, was nicht im Umkehrschluss heißt, dass notwendig gelogen oder bewußt getäuscht werde.

[3]

Ich befürchte nur, der Begriff “Authentizität” birgt ein Problem. Ohne ethische Konnotation, ohne eine individuelle, private Haltung, kann man ihn verwenden, was für viele aber in den Bereich Täuschung fällt, also ein taktisch motivierter Umgang mit Wahrheiten. Es ist bei Prof. Merten schön zu sehen, was für eine Lawine der Ungehaltenheit wegen seiner seltsamen Verwendung des Wortes “Lizenz” aufkommt.

Das Ganze soll doch einen transparenten PR-Knigge ergeben, der für Käufer und Verkäufer optimale Fairness bietet. (Was in der Philosophie seit 30 Jahren auf die Ideen von John Rawls hinaus läuft.)

Wäre sicherlich nutzvoll, kenne ich bislang nicht und könnte vielleicht auf den Begriff der “Authentizität” verzichten, weil er viele reizt, ihn nur nach den eigenen Vorstellungen zu verstehen. Da wäre ein neuer Begriff vielleicht besser.

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das spiel mit der erkenntnis

Die Katholische Kirche gerät gerade unglaublich ins Schlingern bezüglich eines ihrer Mitglieder, das die Vergasung von Menschen jüdischen Glaubens anzweifelt.

Ich bin Mitglied der Katholischen Kirche und habe damit eigentlich kein sonderliches Problem. Ich teile grundsätzliche Standpunkte bezüglich des Glaubens an sowas wie Gott, Dreiheiligkeit, Unfehlbarkeit des Papstes und pipapo überhaupt nicht. Ich glaube allerdings, dass die positiven Wirkungen dieser Kirche immer noch besser sind als eine Welt ohne diese Kirche vom jetzigen Standpunkt aus gesehen. Das soll keine Rechtfertigung sein, nur der Hinweis, einfach draufkloppen auf die Katholische Kirche erscheint mir heuchlerisch zu sein.

Neben der jahrelang anschwillenden Glaubens- hat sich die Katholische Kirche somit auch ein Erkenntnisproblem an Land gezogen. Und ohne die Philosophie scheint sie es nicht lösen zu könne. Wieso? Nun, die Problemlage ist folgende: Wenn es keine Erfahrungsbeweise gibt, nur Papiere und Videodokumente, heißt das nicht: Es liegen keine Beweise vor?

Die öffentliche Lage sieht so aus, dass es eine Mehrheitsmeinung gibt, die diesen Verdacht als unanständig ansieht, es sei daher auch unanständig, so etwas in die Welt zu posaunen, gerade im Namen der Katholischen Kirche. Dass es unanständig oder würdelos ist, behandle ich später. Zunächst nur: Diese Mehrheitsmeinung ist nicht entscheidend. Es wäre auch schlimm, gäbe es nur eine Mehrheitsmeinung.

Entscheidend wird es bei der philosophischen Frage, was ist eigentlich Geschichtsschreibung? Geschichtsschreibung ist mittlerweile eine standartisierte, genauestmögliche Widergabe von Geschehenem zunächst durch eine Person. So fing man an. Weswegen war das akzeptabel als Wiedergabe von tatsächlich Geschehenem?

Weil es der Art entspricht, wie Menschen sich ihre Identität konstruieren. Ich bin der Überzeugung, dass ich es war, der gestern die Pizza in den Ofen geschoben hat. Ich habe keine Videoaufnahmen davon oder Dokumente. Hätte ich welche, wäre ich nicht noch überzeugter. Ich habe eine Vielzahl zusammenhängender Eindrücke, die mich dies denken lassen.

Dementsprechend ist Geschichtsschreibung ein menschliches Verfahren, Geschehenes weiter zu leiten. Dieses Verfahren wird seit Jahrhunderten gepflegt, Standards unterworden und immer kritisch begleitet. Dass etwas Vergangenes als wahr betrachtet wird, hängt also nicht an einer Mehrheitsmeinung, nicht allein an Aufzeichnungen, sondern auch an der menschlichen Eigenart, zu Wissen zu gelangen, an sich.

Die Shoa oder Einzelheiten dieser zu leugnen, würde also nur um den Preis der Leugnung der menschlichen Natur zu bekommen sein. Und das ist nicht überzeugend. Im Falle der Katholischen Kirche wird es ja noch konfuser, weil diese Herren doch gerade mit dem Glauben mit einem Phänomen zu tun haben, dass eine sehr seltsame Eigenschaft der menschlichen Natur ist. Wieso leugnet man diesen nicht gleich auch?

Würdelos wird dieses Spielchen in bezug auf so einschneidende historische Ereignisse wie der Shoa. Denn man macht sich des fahrlässigen Missbrauchs des eigenen Denkvermögens schuldig, wenn man ernsthaft in Erwägung zieht, den Opfern des Dritten Reichs das letzte zu nehmen, was ihnen gebührt: Die Anerkennung ihres Leidens.

Auf den Umgang mit diesem Thema seitens der Katholischen Kirche bin ich dennoch gespannt. Jetzt hat man schon gesagt, der Vatikan habe nicht alle Informationen gehabt bezüglich dieser Angelegenheit. Man hätte auch sagen können, dass die Unfehlbarkeit des Papstes gerade nicht ganz so gut funktioniert hat. Daneben bieten sich ihr nicht sonderlich viele nichtweltliche Instrumente an, mit der Thematik umzugehen, außer eines Redeverbotes. Zeit für Veränderungen. Wegen mir könnte Obama in 8 Jahren Papst werden. Wäre doch mal was.

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bielefelder negerstreit

Die Blogboys haben die Diskussion zwischen dem Bielefelder IBZ (Internationales Begengungszentrum) und dem Bielefelder Stadtmagazin Ultimo um deren Verwendung des Wortes „Neger“ ins Internet gebracht. Damit ist auch die Diskussion „Worum geht’s da eigentlich?“ im Internet gelandet.
Man kann grundsätzlich sagen, dass da eine Vereinigung (IBZ) einer anderen (Ultimo) einen bestimmten Wortgebrauch vorschreiben möchte und ankreidet, letztere habe ein Wort („Neger“) in diskriminierender Weise verwendet. Genauer gesagt denkt man wohl, das Wort „Neger“ sei schlicht und einfach rein diskriminierend.

Darf man das nicht sagen? Was darf man sagen? Wer bestimmt, was man sagen darf?

Jetzt hat sich Indimedia aus nicht näher bekannten Gründen eingeschaltet, die auch ganz genau wissen, dass es sich bei den Wortverwendungen des Stadtmagazins um Rassismus handelt, und bekam postwendend von Ultimo eine Retourkutsche durch den Telefonhörer.

Soweit wohl der Stand der Dinge.

Der Streit um eine rechte Verwendung von Begriffen ist ein philosophischer, so abgehalftert das an dieser Stelle auch klingen mag. Der Bielefelder Philosoph Michael Wolff hat in seinem Buch Prinzipien der Logik die Meinung vertreten, dass seiner Ansicht nach man Begriffe verwenden könne, wie man wolle. Ich sympathisiere doch sehr stark mit dieser Ansicht. Man kann hinzufügen, dass in bestimmten sozialen Kontexten es angebracht ist, auf seine Wortwahl zu achten, um nicht unnötig anzuecken, aber verboten ist da nichts. Es ist dagegen etwas anderes, durch seine Worte klarerweise jemanden zu diskriminieren. Wenn man diesen Vorwurf erhebt, sollte man aber zugleich darlegen können, weswegen irgendetwas klarerweise so und nicht anders ist.

Die Sprachverwendung der Ultimo ist nun klarerweise mitunter ironisch, orientiert sich nicht an political correctness, ist sprachlich nicht immer 100%ig ausgefeilt. Damit rechnet der erfahrene Ultimoleser, jeder neue Ultimoleser gewöhnt sich schnell daran. Diese Ironie ist zugestandenerweise nicht immer geglückt, sprich: nicht jede Formulierung sollte man ein zu eins in Marmor hauen. Aber das Heft ist kostenlos, da sollte man Schwächen hier und dort erwarten. Wer nun der Ultimo klarerweise Rassismus vorwirft, verkennt oder ignoriert den Sprachkontext, in dem die Ultimo sich befindet. Und das ist eine Diskriminierung. Und das ist der eigentliche Punkt, um den es hier geht. Ich glaube, man muss Wortwahlen tolerieren, wenn sie nicht klarerweise direkt jemanden angreifen, was hier nicht geschehen ist.

Zugegeben – in den Antworten auf diese Vorwürfe war die Ultimo größtenteils geschmacklos, allerdings auf Grund der Art, wie dort welche Vorwürfe gemacht wurden. Wer hat denn ernsthaft von der Ultimo einen anderen Stil erwartet? Nein, nein, das muss man alles aushalten können, so leidvoll es für den einen oder die andere sein mag.

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