das spiel mit der erkenntnis

Die Katholische Kirche gerät gerade unglaublich ins Schlingern bezüglich eines ihrer Mitglieder, das die Vergasung von Menschen jüdischen Glaubens anzweifelt.

Ich bin Mitglied der Katholischen Kirche und habe damit eigentlich kein sonderliches Problem. Ich teile grundsätzliche Standpunkte bezüglich des Glaubens an sowas wie Gott, Dreiheiligkeit, Unfehlbarkeit des Papstes und pipapo überhaupt nicht. Ich glaube allerdings, dass die positiven Wirkungen dieser Kirche immer noch besser sind als eine Welt ohne diese Kirche vom jetzigen Standpunkt aus gesehen. Das soll keine Rechtfertigung sein, nur der Hinweis, einfach draufkloppen auf die Katholische Kirche erscheint mir heuchlerisch zu sein.

Neben der jahrelang anschwillenden Glaubens- hat sich die Katholische Kirche somit auch ein Erkenntnisproblem an Land gezogen. Und ohne die Philosophie scheint sie es nicht lösen zu könne. Wieso? Nun, die Problemlage ist folgende: Wenn es keine Erfahrungsbeweise gibt, nur Papiere und Videodokumente, heißt das nicht: Es liegen keine Beweise vor?

Die öffentliche Lage sieht so aus, dass es eine Mehrheitsmeinung gibt, die diesen Verdacht als unanständig ansieht, es sei daher auch unanständig, so etwas in die Welt zu posaunen, gerade im Namen der Katholischen Kirche. Dass es unanständig oder würdelos ist, behandle ich später. Zunächst nur: Diese Mehrheitsmeinung ist nicht entscheidend. Es wäre auch schlimm, gäbe es nur eine Mehrheitsmeinung.

Entscheidend wird es bei der philosophischen Frage, was ist eigentlich Geschichtsschreibung? Geschichtsschreibung ist mittlerweile eine standartisierte, genauestmögliche Widergabe von Geschehenem zunächst durch eine Person. So fing man an. Weswegen war das akzeptabel als Wiedergabe von tatsächlich Geschehenem?

Weil es der Art entspricht, wie Menschen sich ihre Identität konstruieren. Ich bin der Überzeugung, dass ich es war, der gestern die Pizza in den Ofen geschoben hat. Ich habe keine Videoaufnahmen davon oder Dokumente. Hätte ich welche, wäre ich nicht noch überzeugter. Ich habe eine Vielzahl zusammenhängender Eindrücke, die mich dies denken lassen.

Dementsprechend ist Geschichtsschreibung ein menschliches Verfahren, Geschehenes weiter zu leiten. Dieses Verfahren wird seit Jahrhunderten gepflegt, Standards unterworden und immer kritisch begleitet. Dass etwas Vergangenes als wahr betrachtet wird, hängt also nicht an einer Mehrheitsmeinung, nicht allein an Aufzeichnungen, sondern auch an der menschlichen Eigenart, zu Wissen zu gelangen, an sich.

Die Shoa oder Einzelheiten dieser zu leugnen, würde also nur um den Preis der Leugnung der menschlichen Natur zu bekommen sein. Und das ist nicht überzeugend. Im Falle der Katholischen Kirche wird es ja noch konfuser, weil diese Herren doch gerade mit dem Glauben mit einem Phänomen zu tun haben, dass eine sehr seltsame Eigenschaft der menschlichen Natur ist. Wieso leugnet man diesen nicht gleich auch?

Würdelos wird dieses Spielchen in bezug auf so einschneidende historische Ereignisse wie der Shoa. Denn man macht sich des fahrlässigen Missbrauchs des eigenen Denkvermögens schuldig, wenn man ernsthaft in Erwägung zieht, den Opfern des Dritten Reichs das letzte zu nehmen, was ihnen gebührt: Die Anerkennung ihres Leidens.

Auf den Umgang mit diesem Thema seitens der Katholischen Kirche bin ich dennoch gespannt. Jetzt hat man schon gesagt, der Vatikan habe nicht alle Informationen gehabt bezüglich dieser Angelegenheit. Man hätte auch sagen können, dass die Unfehlbarkeit des Papstes gerade nicht ganz so gut funktioniert hat. Daneben bieten sich ihr nicht sonderlich viele nichtweltliche Instrumente an, mit der Thematik umzugehen, außer eines Redeverbotes. Zeit für Veränderungen. Wegen mir könnte Obama in 8 Jahren Papst werden. Wäre doch mal was.

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reinhard ascheberg – die ent-subjektivierung des menschen

Eine ausführliche Kritik dieses Buches hat Georg Geismann schon besorgt. Dieser Einschätzung kann ich mich nur anschließen. Ascheberg liefert eine hervorragende Analyse des Gedankens der Subjektivität zur Zeit der Shoa aus der Perspektive eines Philosophen.  Sofern dies überhaupt möglich ist, wie er bereitwillig einräumt.
Ascheberg erläutert sehr eindringlich, inwiefern der Aufenthalt in einem Konzentrationslager auch ein schwerer Angriff auf die Subjektivität eines Menschen mit der Absicht diesen zu brechen gewesen ist.
Die Sprache Aschebergs ist durchaus anspruchsvoll, man sollte sich aber nicht unbedingt davon alleine schon abhalten lassen.

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zur lage der philosophen in bielefeld

Die Universität Bielefeld wurde 1969 gegründet und vom Soziologen Schelsky konzipiert. In dieser Konzeption war für die Philosophen vorgesehen, in ein Haus einzuziehen, das außerhalb der Universität am Hang des Teutoburger Waldes liegt. Heutzutage findet man dort das ZiF, das Zentrum für interdisziplinäre Forschung.
Die Philosophen sollten von dieser höher gelegenen Stelle einen guten Blick runter auf die Universität werfen können. Ein altes Bild, das auch gerne in Platons Dialogen verwendet wird. Auch dort begaben sich die Besserwisser wie Sokrates gerne runter zum Marktplatz, legten dort die Argumentationen des gemeinen Volks auseinander, und gingen dann wieder zurück, hinauf zu ihrer erhöhten Residenz.
Die Philosophen kamen aber als Abteilung dort nie an. Sie residieren im achten Stockwerk des T-Zahns in der Universität. Von dort kann man zwar auch runterschauen, aber es ist doch irgendwie nicht dasselbe.
Die Ideale Schelskys haben sich auch in anderer Hinsicht nicht erfüllt. Die Universität Bielefeld startete als “Reformuniversität”, als ein Gegenversuch zu all den Universitäten, bei denen “unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren” herrschte. Diesem Anspruch ist die Universität nie gerecht geworden, auch wenn es ein paar bekannte Wissenschaftler hervorgebracht hat.

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wehlers humanismus

Erneut hat es das Forum offene Wissenschaft in Bielefeld geschafft, Hans-Ulrich Wehler für einen Vortrag mit dem Titel „Die Idee der Humanität in Geschichte und Gegenwart“ zu gewinnen.
Das letzte Mal, dass ich Wehler im FoW gesehen habe, wetterte er eindrucksvoll und bestimmt, manche werteten das als polemisierend, gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. Damals erzählte er eine Anekdote über den seinerzeitigen Außenminister Joschka Fischer. Den habe er in Berlin auf einer Party getroffen und nachdem man den einen oder anderen intus hatte, soll Fischer einen Vergleich zu Genscher gezogen haben: „Halb soviele Amtsjahre, aber doppelt soviel Flugmeilen!“ Dem Publikum gefiel natürlich diese Anekdote, man traute sie Fischer ja auch ohne weiteres zu. In diesem Kontext wirkte sie allerdings befremdlich, aber Wehler konnte sie sich leisten.
Heute Abend nun sprach Wehler über Humanismus. Man durfte gespannt sein, schliesslich wagte Wehler sich damit ausserhalb seines Forschungsbereichs. Dies räumte Wehler vor einer hörsaalfüllenden Fangemeinde auch ein, warb aber dafür den Humanismus als europäisches Kulturgut, das auf dem Christentum aufgebaut worden sei, weiter zu befördern. Das Christentum habe gezeigt, dass es ein derartiges Kulturgut verbreiten könne. Daher habe er auch nichts dagegen, es in eine europäische Verfassung Gott einzubinden, da der christliche Glaube eben auch europäisches Kulturgut sei, auch wenn er selbst die jüdische Religion der christlichen in inhaltlicher Sicht bevorzugen würde.
Bezogen auf letzteres sagte er, es sei leichter an einen einzigen gesetzgebenden Gott zu glauben als an ein gemischtes Team aus Gott, Engeln und sonstigen Wesen. Wehler betonte, in einem derartigen Rahmen sei es immer ratsam, den Inhalt mit einer politischen Aussage zu verknüpfen, das erklärte sein Werben für die Anerkennung des Humanismus als europäischem Exportschlager. Andere Religionen oder Amerika mit seinem Way-of-life hätten eine derartige Wertetradition nicht vorzuweisen.
Und an diesem Punkt sprach Wehler, der jahrelang in den Vereinigten Staaten lehrte, doch noch etwas für mich interessantes an. Ihn habe dieser starre, unerschütterliche Glaube an den american way of life immer irritiert. Die Geschichte des Tellerwäschers, der zum Millionär wird, würde immer wieder durch die eine oder andere derartige Geschichte bestätigt, während sich niemand über die oftmals fehlende Krankenversicherung wunderte. Der Glaube, der Einzelne müsse nur hart genug arbeiten, dann bekomme er schon seinen verdienten Lohn, sei wesentlich grundlegender verankert als die Idee von einer umfassenden Sozialversorgung.
Jetzt leuchtet mir schon eher ein, weswegen aktuelle amerikanische Filme ums Verrecken nicht auf den Einen, der alle rettet, verzichten kann, aber Rawls‘ Theorie muss ich darauf hin nochmal testen.

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