von zeitungen und zügen

Ich glaube ja schon deshalb, dass Zeitungen nie aus dem Kulturleben verschwinden werden, weil sie unersetzbare Abgrenzungsfunktionen zur Verfügung stellen.
Nicht mein Gedanke ist es, dass ein Mensch, der eine Zeitung in der Öffentlichkeit hält, sofort den Eindruck von Bildung, geistiger Betätigung und Friedfertigkeit ausstrahlt. Zumindest erzeugt man diese Dreieinigkeit nicht durch das Herumdaddeln auf einem iPod. In Zügen und Straßenbahnen verfolgt mich, wenn ich diese Technikgedönsspieler sehe, auch fortwährend die Einräumung der Möglichkeit, dass diese Personen gleich den Lautsprecher ihres Technikschnickschnacks einschalten, um ihren 100-Meter-Umkreis mit Schrilltönen zu beschallen. Und geistige Betätigung unterstellt man ja diesen Leuten, die bei jedem Zustand, den man “unterwegs” nennt, Ohrstöpsel tragen, auch nicht. Eher die Auskunft “away-from-reality”, “nichtansprechbar” oder sowas.
Gestern nun im Zug saß ich einem gutsituierten Pärchen gegenüber und links von mir saß ein Pärchen angetrunkener männlicher HipHop-Fans aus Berlin, unterwegs zum Kiffen nach Holland. Bei dem Männlein-Weiblein-Pärchen überkam mich schon wieder die Frage, weswegen gutaussehende Frauen gerne mal arschlangweilige Typen an Land ziehen. Vielleicht bin ich da auch zu großzügig und die Frauen, auf die das zutrifft, bedürfen nichts anderes.
Der Typ gegenüber von mir erzählte dann seiner Ische den für ihn besten Witz aus der letzten “Schmidt&Pocher”-Folge. Harald Schmidt habe wohl rausposaunt, dass er im Zug nur noch für Schwangere mit Imigrationshintergrund seinen Sitzplatz räumen würde. Ja, ein Riesengag. Wirklich interessant ist ja nur, wie jemand wie der Typ gegenüber das als Witz auffassen kann, vielleicht auch als einen, auf den er selbst nie gekommen wäre, und dass dieser Witz oder Gedanke so gut für ihn ist, dass es sich lohnt, ihn Tage später noch seiner Freundin als wiedergekäutes Erlebnis zu präsentieren. Das ist so ungefähr auf dem Niveau Pochers, wenn er davon spricht, er habe “bewiesen”, dass er eine abendliche Sendung in der ARD führen könnte. Abgesehen davon, dass ich 2 Stehlampen zuhause habe, über die ich schon mehr gelacht habe als je über Pocher: Die Sendung führt doch weiterhin Schmidt?! Wo ist da ein Beweis? Was ich sehe, ist nur, dass Pocher zunehmend von den Gesprächsgästen übersehen wird. Könnte man auch als Beweis sehen.
Aber egal, während mich dieser Gedanke überkam, legten die Berliner Hippos ihre Ohrstöpsel ab, schalteten einen Handylautsprecher an und hörten irgendein Gebrülle über “Wir sind der Staatsfeind Nummer Eins” und der Staat mag uns nicht und keiner hat uns lieb und Scheisse und du Fotze und ich Fotze und und und. Das Ganze war ein einziges Auskotzen von halbgaren Gedanken, das gegen die Natur immer weiter ging und heftiger wurde.
Und genau an diesem Punkt hielt ich meine Zeitung hoch und war zufrieden. Ich konnte dadurch keinen zufälligen Blick mehr auf die Hippos werfen, die sich während der “Musik” mit V-Plus-Lemon abschädelten und sich in einer “Höhö, Ey Alter, machkeenscheiß”-Sprache unterhielten, und musste ebenso den Spießern vor mir kein Mitleid opfern, die sich durch das Gedudel sichtlich und verstummend irritieren ließen.
Man sollte eigentlich immer eine Zeitung dabei haben, und wenn es nur zum Hochhalten ist. Das Vertieftsein in ein Buch würde einem Gegenüber nicht unbedingt davon abhalten, ein Gespräch aufzudrängen. Das Hochhalten eines Buches zur Vermeidung von Sichtkontakt sieht auch bei nicht all zu großen Büchern eher Banane aus. Da ist eine Zeitung unschlagbar. Da kann auch ein Kindle nichts machen. Das Vor-sich-Ausbreiten einer Zeitung erzeugt einen persönlichen Sozialraum, ganz wie der Gartenzaun vorm Haus. Und man wirkt dabei nicht als soziales Arschloch, sondern als sich geistig betätigend. Das ist doch super. Damit sollten die Zeitungen mal werben. Also außer der BLÖD-Zeitung jetzt.

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