zu besuch bei einer schlagenden bielefelder verbindung

Ein Bekannter feierte einst eine Party und wie ich irgendwann feststellte, war dies im Hause einer Bielefelder Studentenverbindung. In der Universität haben die Verbindungen unter den Studierenden oftmals keine gute Stellung, es gibt eine Mehrheit von Studierenden, die sich als links betrachten. Linke Studenten hassen Studentenverbindungen, aus persönlich-politischem Ermessen. Ich kannte bis dato keine derartigen Verbindungen und da ich keine Berührungsängste verspürte und wissen wollte, was meinen Bekannten zu einer derartigen Verbindung treibt, folgte ich der Einladung.

Diese Verbindung besitzt ein eigenes Haus an einer vielbefahrenen Straße, Bier ist immer da, mehr Betten als dort Wohnende, alte Schränke, antike Tische, es herrscht eine zugetane Stimmung unter den Anwesenden. In den Schrankvitrinen stehen Holzfiguren, veraltete Atlanten und alte Bücher, deren Autoren mir nichts sagen. Wir sitzen am Tisch, Bier wird gereicht, man quatscht über dies und das. Der Senior der Runde stellt sich als Kristallisationspunkt der Unterhaltung heraus. Man spricht zu ihm, wenn etwas erzählt werden soll. Wenn er nicht mal heftigst gegen einen Küchenschrank gelaufen ist, zeugt seine Stirn wohl von Charakterstärke. Er spricht laut und gewandt. Er adelt die humor- und spannungsfreien Geschichten der Nachkömmlinge mit seiner Aufmerksamkeit. Anwesende Frauen werden nicht ins Gespräch mit einbezogen. Niemand würde auf das, was ich sage, eingehen, außer dem Senior. Mir teilt er mit, dass er schon von mir gehört habe. Das klingt so schmeichelnd wie unglaubwürdig. Ich darf ihm erzählen, was ich so treibe und so erzähle ich unverfängliches Zeugs. Das Bier ist leer, neues kommt.

Ein weiterer Gast beehrt die Runde, es ist ein Verbindungsgast mit sächsischem Sprachklang. Auch er wendet sich an den Senior mit seinen Geschichten. Und obwohl ich nicht den Eindruck gewinne, dass man sich sonderlich gut kenne, reicht auch ihm die Adelung seiner Geschichten durch Aufmerksamkeit des Häuptlings. Er ist zufrieden. So zufrieden, dass er die schönste Neuigkeit seines Privatlebens preis geben mag: Er hat neuerdings eine Freundin. Wie schön. Und er hat sogar Glück gehabt, es sei ein „richtig deutsches Mädel.“

Meine Miene friert etwas ein und ich versuche mein sardonischen Lächeln etwas zu verbergen. Aber entweder hat der Senior dies bemerkt oder diese Bemerkung ist ihm selbst nicht ganz geheuer. Jedenfalls übernimmt er noch verstärkt die Redeleitung, erzählt von etwas völlig anderem. Was sein deutsches Mädel so deutsch macht, erfahre ich nicht. Ich bereichere das weitere Gespräch mit Party-Small-Talk und ab und an ironischen Sprüchen, merke aber fix: Ironie ist hier kein Aspekt der gewohnten Unterhaltung. Lacher bringen die Geschichten, bei denen referiert wird, welche Person sich auf welcher Party wann übergeben hat. Von diesen Geschichten gibt es viele. Und der Senior lacht über jede Kotzgeschichte.

Dass ich irgendwie anders rede, wird aber wahr genommen. Wir verlassen den Raum, teilen uns etwas auf und jemand stupst mich von der Seite an, um mir eine Frage zu stellen: Sag mal, für wen schreibst du? Für wen ich schreibe? Ja, du musst doch für wen schreiben. Die Frage überrascht mich in der Tat. Wer sollte jemanden beauftragen, eine Verbindungsparty dazu zu nutzen, um darüber zu schreiben? Die lokale Zeitung? Ich hatte bislang niemanden über seine Motive zur Nähe zu dieser Studentenverbindung gefragt, selbst das Thema Burschenschaft ist bislang nicht aufgekommen. Okay, wenn ich den Mund aufmache, dann bedacht. Sowas macht mich hier wohl schon zu etwas Extravagantem. Oder Anwesende ängstigen sich vor Öffentlichkeit. Jedem seine Paranoia. Wie sich erprügelte Charakterstärke mit der Angst vor einer sachlicher Darstellung ihrer Aktivitäten vereinigen lässt, erfahre ich an diesem Abend nicht. (Wenn ich jetzt darüber schreibe, dann deswegen, weil ich es interessant finde. Meine Motivation für den und beim Besuch war es nicht.)

Ich lerne englische Studenten dort kennen, die sich hier einquartiert haben. Ja, die anderen Bewohner hätten schon so ihre Eigenarten. Man sei auch daheim angehalten worden, nicht bei einer deutschen Burschenschaft zu übernachten. Aber die Übernachtungskosten seien so niedrig, dass man sich doch dafür entschieden habe. Man macht Trinkspielchen. Verbindungsstudenten verständigen sich radebrechend auf englisch mit den Gästen. Alkohol besorgt den Rest der Verständigung.

Gen Ende der Party möchte mir noch ein eingefleischter Verbundener erklären, dass die Burschenschaften auf wunderbare Weise Werte weitergäben. Dass sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg für demokratische Strukturen stark gemacht hätten, dass konservative Werte überhaupt stärker an Heranwachsende vermittelt werden müssten. Ich wende ein, dass meinem Bekannten beispielsweise derartiger Wertetransport doch völlig am Allerwertesten vorbeigeht, dass das Rumgelage hier doch keinen Wert darstelle, und dass der historische Rückbezug albern sei und ernte ein hilfloses: „Doch!“

Die Verbindung ist durchaus gastfreundlich, das sollte man sagen. Die dort verbreiteten Ansichten, die Vereinsmeier- und Menschenfischerei bleiben mir allerdings wesensfremd. Aber gefährlich ist das nicht.

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