westfälische idiome (I): die erweiterung von kaffee-verben mit ’nach‘

Die deutsche Sprache hat über die Jahrhunderte hinweg im Westfälischen und im angrenzenden niedersächsischen Raum eine eigene Sprechweise erlangt, weswegen man in Westfalen auch sagt, man spreche hier nicht so richtiges Hochdeutsch, das wäre nur im Raum Hannover der Fall.

Die Erweiterung von Verben mit nach hat einen allgemein akzeptierten Status bekommen, über den sich mittlerweile nur noch Nichtwestfalen wundern. Grundsätzlich ist diese Verwendung bekannt, z.B. bei dem Wort nachkaufen an der Börse. Sie haben Aktien gekauft und kaufen weitere hinzu. Dadurch erweitern Sie in einem zweiten Schritt ihren Bestand dieser Aktien.

Diese Verwendung ist der im Westfälischen ähnlich, auch wenn die Akzentuierung nicht darauf gelegt wird, dass man einen Bestand erweitert. Sie kommt vor allem beim Kaffeetrinken zum Tragen.

So fragt man z.B. Darf ich Dir noch ein bisschen Kaffee nachschütten?

Die Menge an Kaffee ist hier nicht relevant. Im Falle des letzteren würde man lapidar fragen:  Möchtest Du noch mehr?

Es wird nur höflich angezeigt, dass sich die angesprochene Person in der Beschäftigung des Kaffeetrinkens befindet, und die Frage zielt darauf, herauszufinden, ob man den Vorgang durch weiteres Hinzufügen von Kaffee unterstützen kann.

Weiss der Einschütter nicht, ob der Befragte sein Kaffeetrinkvorhaben schon beendet hat, aber eventuell neu anfangen möchte, oder, wenn der Kaffeewillige sein Kaffeetrinkvorhaben erst startet, so fragt man ohne Verwendung des nach: Darf ich Dir noch was einschütten?

Bei fremden Personen, von denen der gemeine Westfale weiss, dass ein Siezen angebracht ist, und sich dieser Status auch offensichtlich nie ändern wird, spricht er von eingießen oder einschenken. Bei allen anderen potentiell freundschaftlich Gesinnten, spricht er von einschütten. So sind die Sätze Darf ich Ihnen noch etwas Kaffee einschütten? oder Darf ich Dir noch etwas Kaffee eingießen? dem Westfälischen ungeläufig bis suspekt.

Ist kein Kaffee da, muss man eben etwas Kaffee nachkochen. [Es ist, nebenbei bemerkt, ein Ausdruck der Höflichkeit im Beispiel oben Darf ich nachschütten zu sagen und hier Ich muss noch Kaffee nachkochen. Es ist nicht die Rede von einer Frage nach einer Erlaubnis oder von einer strikten Notwendigkeit. Das etwas deutet an, dass die Menge an Kaffee, die nachgekocht wird, nun wirklich nicht der Rede wert ist.]

Es kann ein weiterer Sonderfall eintreten, nämlich dann, wenn der eigentliche Akt des Kaffeetrinkens vorbei ist, aber noch Kaffee da ist. In diesem Sonderfall schüttet der Westfale den Kaffee nicht weg oder friert ihn ein. Er trinkt ihn selbst, auch wenn der eigentliche Akt des Kaffeetrinkens vorbei ist und sagt hierzu, wenn er gefragt wird, erläuternd: Ich hab eben noch zwei Tassen Kaffee nachgetrunken.

Achten Sie bitte im Umgang mit Nichtwestfalen darauf, dass ein geradezu selbstverständlicher Einsatz der Erweiterung von Kaffee-Verben mit nach in der freien Rede unverständige bis zurückweisende Blicke nach sich ziehen können.

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was sollen wir tun?

Da hat wohl jemand gestern den Vortrag von Detelf Horster mitgeschnitten. Ich finde die Position von Horster eigentlich ganz sympathisch, wenn ich auch über seinen Ansatz aus philosophischer Sicht etwas anderer Meinung bin. Nur weil sich Leute empören, beweist das noch keine Moral, zumindest nicht die Verbindlichkeit einer solchen. Gerade dieses Ticketsystem steht dadurch auf zu wackeligen Füßen.

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ein kind, das heute verhungert, wird ermordet

Ich komme erst jetzt dazu, die im Dezember erschiene, neue Ausgabe von fluter zu lesen. Und wieder ist sie ganz hervorragend, nicht nur für Jugendliche. Diese Ausgabe behandelt das Thema Essen und man streift dabei die Unterthemen richtige Ernährung, Unterernährung, Fettleibigkeit, aber auch Welthunger.

In einem Interview erklärt Jean Ziegler den Zusammenhang von Finanzkrise und verhungernden Kindern. Da vergeht einem schon einmal der Appetit.

fluter: Laut World Food Report stirbt alle fünf Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an Hunger und damit verbundenen Krankheiten. Alle vier Minuten verliert jemand das Augenlicht wegen Vitamin-A-Mangel. Seit April 2009 sind zum ersten Mal über eine Milliarde Menschen weltweit schwerst unterernährt, obwohl die Welt reich wie nie zuvor ist. Wie kommt es zu diesem Widerspruch?

Jean Ziegler: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Am 12.10.2008 kamen die Staatschefs der EU in Paris zusammen und verkündeten, dass es zur Bekämpfung der Finanzkrise 1.700 Milliarden Euro neue Bankenkredite und Bürgschaften geben wird. In den zwei Monaten danach wurden die Beträge für die Nahrungssoforthilfe um 41 Prozent gekürzt, weil kein Geld mehr für das World-Food-Programme der UN da war, dessen Budget von sechs Milliarden Dollar Ende 2008 auf unter vier Milliarden fiel.

fluter: Wollen Sie damit sagen, dass die Bankenkrise die Situation der Ärmsten verschlimmert hat?

Jean Ziegler: Das kann man durchaus so sehen. In Bangladesch hat es dadurch von einem Tag auf den anderen für eine Million Kinder keine Schulspeisungen mehr gegeben, dabei ist das Essen in der Schule für diese Kinder die einzige anständige Mahlzeit am Tag.

Das ganze Interview gibt es hier als pdf.

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westfälische idiome (II): drumzu

Bei dem Wort drumzu handelt es sich um eine westfälische und auch im Norddeutschen vorkommende Entsprechung des hochdeutschen Zirkumpositums herum.

Sage ich, ich gehe um das Haus, bedeutet das, dass ich vollständig am Haus entlang gehe, und am Ausgangspunkt wieder ankomme oder ich gehe nur halb am Haus entlang und gehe sozusagen geradeaus vom Ausgangspunkt gesehen weiter. Um ein Haus herum oder drumzu gehen sind Unterformen von um ein Haus gehen.

Sage ich, ich gehe um das Haus herum oder drumzu, so gehe ich in einem Winkel um das Haus, der größer als 180° ist. Das oben beschriebene geradeaus weitergehen, zählt also nicht dazu.

Durch drumzu soll allerdings die in Rede stehende Bewegung sprachlich deutlicher herausgehoben werden:

Du musst ganz um das Haus drumzu gehen!

Bei diesem drumzu wird mit drum ist die kreisförmige Bewegung gemeint, mit der um das Haus herum gegangen wird, und mit zu wird dargelegt, dass dieser Kreis, der gegangen wird, sich wieder schließt.

Drum in drumzu entspricht derselben Verkürzung wie drum in Sei’s drum, allerdings wird dem Inhalte nach etwas Unterschiedliches gemeint: Im ersten Fall wird da rum abgekürzt und im zweiten Fall darum, bei letzterem wird also auf eine Begründung angespielt, bei ersterem auf einen Objektbezug hingewiesen.

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die auflösung von cebulons welt

Als ich im letzten Jahr die Seite Cebulons Welt etwas näher unter die Lupe nahm, wurde mein Unterfangen dort wie folgt kommentiert

Noch in der jüngsten Ratssitzung hat Bürgermeister Heinz Steingröver behauptet, er lese die Texte in Cebulons Welt nicht. „Das ist nicht unser Stil“, hieß es wörtlich. (Frage am Rande: Wer verbirgt sich hinter „unser“.) Inzwischen hat er offensichtlich vieles hier gelesen, es als hingeworfenen Fehdehandschuh begriffen und ihn aufgenommen. Nun hat der tapfere Ritter aber nicht selbst sein Streitross gesattelt, sondern einen Knappen in den Kampf geschickt. Vermutlich, weil er um die Stumpfheit seiner Waffen weiß. In Form eines ausführlichen Steingröverschen Kommentars hat Carsten Herkenhoff immerhin einen bürgermeisterlichen Schild erhalten. Der ist so klein und dünn, dass der schutzlos Vorgeschobene nicht allzu heftiger Hiebe ausgesetzt werden soll. Nur so viel:

Er hat immerhin etwas recherchiert.

So allzu stumpf und dünn scheint das Ganze nun auch wieder nicht gewesen zu sein, gemessen daran, was für ein Bohei immer noch um die Seite besteht. Fuhr man im letzten Jahr über die Seite allerdings noch Angriffe auf den Ibbenbürener Bürgermeister, so hat sich das Blatt inzwischen gewendet.

Heute publiziert man dort eine Auflösung, wer so alles in welcher Form hinter der Seite stand, die Rathaus-Interna öffentlich machte, sofern eine solche noch vonnöten gewesen ist.

Diese Auflösung lässt allerdings nach angeblich mindestens 16 Austritten die noch verbliebenen Mitglieder der IfI in keinem guten Licht dastehen: Deren aktuelle Fraktion wird als Mitinitiator benannt.

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nachahmung ist die aufrichtigste form der schmeichelei

… sagte dereinst Charles Caleb Colton.

Neuerdings verwendet meine Heimatzeitung auch die Schrift AnkeCalligraphic von Anke Arnold, die ich schon seit 9 Jahren verwende. Und ich bin mir sicher, dass die bei Anke Arnold auch mal angerufen haben wegen kommerzieller Nutzung und so.

Da scheine ich ja mal wieder Trendsetter zu sein, nachdem die Zeitung mich schon mal gefragt habe, ob ich ihr nicht mal kostenfrei meine Zitatesammlung rüberschicken könnte.

Aber wie heisst es so schön: Nur die besten werden kopiert ;-).

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westfälische idiome (iii): mit jemandem kramen können

Heute geht es um das Idiom mit jemandem kramen können. Etwas bekannter ist hier z.B. in einer Schublade kramen oder im Hobbykeller kramen oder etwas aus seiner Hosentasche kramen.

Diese Verwendungen haben nur insofern etwas gemeinsam, als dass diese Verbkonstruktion vornehmlich von Männern verwendet wird. Es wurde und wird u.a. stark im Bergbau verwendet und übertrug sich von dort aus etwas allgemeiner verwendet in die arbeitsunabhängige Alltagssprache.

Im Gegensatz zu „etwas aus der Hosentasche kramen“ ist aber „mit jemandem kramen können“ ein Werturteil. Es verhält sich mit diesem Idiom etwa so:

1. „Der Marc, mit dem kannste kramen.“
Betonung auf ‚dem‘.
Marc ist eine Person, mit der man vertrauensvoll arbeiten kann. Marc fühlt sich nicht zu schade für gewisse Aufgaben und kann auch mit anpacken, wenn es drauf ankommt. Er verzettelt sich nicht in überflüssige Diskussionen und arbeitet zur Not auch eigenständig und verantwortungsvoll. Mit Marc fühlt sich der Sprechende auf einer Wellenlänge. In der Rede mit anderen empfiehlt der Sprecher Marcs für gut empfundenen Charakter.

2. „Marc – da kannste wohl kramen mit.“
Betonung, wenn, dann auf ‚kannste‘.
Der Sprecher weiss, dass der Angesprochene in bezug auf Marc skeptisch ist, ob dieser verlässlich mit anpacken kann. Durch das Wörtchen „wohl“ impliziert der Sprecher, dass davon aber ausgegangen werden kann, wenn auch der Sprecher nicht meint, mit Marc hundertprozentig auf einer Wellenlänge zu sein.

3. „Marc, da kannste nicht mit kramen“
Betonung entweder auf ‚kannste‘ oder auf ’nicht‘ oder beides.

Es wurde versucht mit Marc zusammen zu arbeiten, aber Marc war beim gemeinsamen arbeiten keine unterstützende Hilfe. Der Sprecher sieht starke Unterschiede, was die Wellenlinie von sich und Marc angeht.

4. „Marc, da kannste einfach nicht mit kramen“
Betonung auf ‚einfach‘ oder auf ‚einfach‘ und ’nicht‘.
Es wurde mehrfacht, wahrscheinlich beruflich bedingt, versucht, Marc in ein gemeinsames Arbeiten mit einzubinden und es ist immer daneben gegangen. Der Sprecher ist nicht gut zu sprechen auf Marc und kommt auch rein charakterlich nicht mit ihm klar.

So gesehen mag die vornehmliche Verwendung von mit jemandem kramen können daher rühren, dass Frauen beim Mit-anpacken gedanklich in Westfalen eher außen vor sind.

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